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Aufruf des Vorbereitenden Gewerkschaftsausschusses für Groß-Berlin (15. Juni 1945)

Unter zentralistischen Vorzeichen beginnt im Sommer 1945 der Neuaufbau der Gewerkschaften in der sowjetischen Besatzungszone. Der dezidiert politische Aufruf des Vorbereitenden Gewerkschaftsausschusses für Groß-Berlin vom 15. Juni 1945 wird von kommunistischen und sozialistischen Arbeitervertretern und bürgerlichen Gewerkschaftern gemeinsam getragen. Sie propagieren die Einheit der Arbeiterschaft als „antifaschistisches Bollwerk“.

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Die Tyrannei des Hitlerfaschismus ist durch die verbündeten Armeen zerschlagen. Millionen Toter und Verwundeter, zerstörte Städte, vernichtetes Eigentum, Witwen und Waisen klagen an. Furchtbar hat Hitler sein großsprecherisches Wort wahr gemacht, das er bei seiner Machtergreifung verkündete: „Gebt mir zehn Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht mehr wiedererkennen.“ Durch seine barbarische Rassenlehre und den Vernichtungsfeldzug gegen andere Völker hat Hitler die eigene Nation geschändet.

Der Weg zum Abgrund begann schon vor 1933. Die demokratischen Kräfte waren gespalten und zu unentschlossen, um entscheidenden Widerstand zu leisten. Der 1. Mai 1933 war der schwärzeste Tag in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Hitler kam zu ungehemmter Macht.

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Die Unterzeichneten haben einen Ausschuß zum Wiederaufbau freier, demokratischer Gewerkschaften für Groß-Berlin gebildet. Wir sind überzeugt, dem Willen der Berliner Arbeiterschaft Ausdruck zu geben, wenn wir erklären:

Die neuen freien Gewerkschaften sollen unter Zusammenfassung aller früheren Richtungen in ihrer Arbeit eine Kampfeinheit zur völligen Vernichtung des Faschismus und zur Schaffung eines neuen demokratischen Rechts der Arbeiter und Angestellten werden. Ihre Aufgabe ist vor allem, mitzuhelfen bei der Neugeburt unseres Volkes und bei der Heilung der Wunden, die der unselige Hitlerkrieg der Welt geschlagen hat. Die Arbeit der deutschen Gewerkschaften soll Gewähr sein für die Wiedererweckung des Vertrauens der Völker. Sie sollen mithelfen, ein demokratisches Deutschland, das in Frieden und Freundschaft mit den anderen Völkern leben will, zu schaffen. Durch ehrliche und angestrengte Arbeit am Wiederaufbau und zur Wiedergutmachung des in anderen Ländern Zerstörten wollen sie mitwirken, das Vertrauen der anderen Völker wiederzugewinnen.

Der Ausschuß wird die gewerkschaftlichen Grundsätze ausarbeiten und sie mit dem internationalen Gewerkschaftskomitee in Übereinstimmung bringen. Wir schlagen den Arbeitern und Angestellten Berlins vor, ihre Meinung zu folgenden Erstaufgaben der freien Gewerkschaften zu äußern:

1. Entschlossener Kampf gegen die nazistische Ideologie und das Gift des deutschen Militarismus. Darum Säuberung aller Posten in Stadtverwaltung und Betrieben von aktiven faschistischen Elementen.

2. Einsatz aller Arbeitskräfte, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern und Berlin durch angestrengte Arbeit wieder aufzubauen.

Raschmöglichste Wiederingangsetzung der Versorgungsbetriebe und Werkstätten, der Energieversorgung und der Verkehrsmittel von Groß-Berlin.

3. Vertretung der Arbeiter und Angestellten im Rahmen der Bestimmungen der Besatzungsbehörden durch Abschlüsse von Tarifverträgen und Organisierung des Arbeitsschutzes und des Arbeitseinsatzes.

Mitarbeit beim Wiederaufbau der Wirtschaft und der Sozialversicherung unter Sicherung des demokratischen Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter und Angestellten.

4. Erziehung der Arbeiterschaft im Geiste des Antifaschismus, des demokratischen Fortschritts und zur Erkenntnis ihrer sozialen Lage.

Pflege der Verbundenheit mit den Arbeitern der anderen Länder und Festigung der Freundschaft zu den anderen Völkern.

Arbeiter und Angestellte!

Die Nazityrannei ist tot! An uns liegt es jetzt, trotz aller Schwierigkeiten Hand anzulegen zum Neuaufbau. Wieder, wie nach 1918, liegt das Schicksal der Heimat in unserer Hand. Wir dürfen diesmal nicht versagen.

Beweisen wir der Welt, daß die geeinte Arbeiterschaft, durch die Vergangenheit belehrt, sich ihrer besten gewerkschaftlichen Tradition bewußt, gewillt ist, ein antifaschistisches Bollwerk zu schaffen; daß sie entschlossen ist, sich mit ganzer Kraft einzusetzen für die Schaffung eines demokratischen Deutschlands, für ein friedliches Zusammenleben mit anderen Völkern.

Der Vorbereitende Gewerkschaftsausschuß für Groß-Berlin



Quelle: Walter Ulbricht, Über Gewerkschaften. Aus Reden und Aufsätzen. Band II, 1945-1952. Berlin, 1953, S. 7 ff.

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