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Anton Ackermann, Der „deutsche Weg zum Sozialismus” (Februar 1946)

Bereits am 14. Juli 1945 schließen sich die vier in der sowjetischen Besatzungszone neu gegründeten Parteien (KPD, SPD, CDU, LDPD) zu einem „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ zusammen. Mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht wird im Herbst 1945 durch eine „Bodenreform“ und eine „Industriereform“ sowie weitere Enteignungen und Verstaatlichungen die Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur im Osten in Richtung eines sozialistischen Systems verändert. Der sächsische KPD-Führer Anton Ackermann spricht sich im Februar 1946 zwar noch gegen eine undifferenzierte Übernahme des sowjetischen Vorbilds und für einen „deutschen Weg“ aus — eine Position, die später der offiziellen Parteilinie widerspricht und scharf bekämpft werden wird —, lässt aber am grundsätzlichen politischen Ziel der Einführung des Sozialismus keinen Zweifel.

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[ . . . ] Für Deutschland wie jedes andere Land gilt, daß es ohne die Aufrichtung der ganzen Macht der Arbeiterklasse keinen Aufbau des Sozialismus geben kann. Ob die Arbeiterklasse vom gegenwärtigen Ausgangspunkt auf friedlichem Wege und unter Beschränkung auf rein gesetzliche Mittel in den Besitz der ganzen Macht kommen kann, darüber entscheiden die nächsten Wochen und Monate. Und dies in dem Sinne, daß in dieser kurzen Zeitspanne die Entscheidung fallen wird, ob die demokratische Republik von neuem Gewaltinstrument in den Händen reaktionärer Kräfte wird, oder ein fortschrittlicher Staat, der für eine spätere Entwicklung zum Sozialismus kein unüberwindliches Hindernis bilden wird. Niemand wünscht sehnlicher als wir, daß neue offene Kämpfe, ein neues Blutvergießen vermieden werden kann [sic].

In allen Dingen, die nicht die oben bezeichneten Grundfragen der Umwälzung zum Sozialismus betreffen, wird in diesem oder jenem Falle die Entwicklung in Deutschland zweifellos einen weitgehend spezifischen Charakter tragen. Oder mit anderen Worten: Im einzelnen werden sich die starken Besonderheiten der historischen Entwicklung unseres Volkes, seine politischen und nationalen Eigenheiten, die besonderen Züge seiner Wirtschaft und seiner Kultur außerordentlich stark ausprägen. Die in der gemeinsamen Entschließung vom 21. Dezember 1945 dargelegte Auffassung ist also durchaus begründet:

»Die Einheitspartei soll selbständig und unabhängig sein. Es ist ihre Aufgabe, ihre Politik und Taktik entsprechend den Interessen der deutschen Werktätigen und den speziellen Bedingungen in Deutschland zu entwickeln. Sowohl bei der Verwirklichung des Programm-Minimums als auch des Programm-Maximums soll sie, von den Besonderheiten der Entwicklung unseres Volkes ausgehend, einen eigenen Weg einschlagen.«

Kein anderer als Lenin hat betont, daß es der größte Fehler wäre, die Wahrheit über die Allgemeingültigkeit der russischen Erfahrungen zu übertreiben und »sie auf mehr als einige Grundzüge unserer (d. h. der russischen) Revolution auszudehnen« (siehe Lenin: »Der Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus«; Kapitel I: »In welchem Sinne kann man von einer internationalen Bedeutung der russischen Revolution sprechen?«).

Im Oktober 1916 brachte Lenin in dem Artikel Eine Karikatur auf den Marxismus außerordentlich tiefe Gedanken über die Besonderheit der Entwicklung in jedem Lande zum Ausdruck:

»Alle Völker werden zum Sozialismus gelangen, das ist unausbleiblich, aber sie werden dahin nicht auf ganz dem gleichen Wege gelangen, jedes wird dieser oder jener Form der Demokratie, dieser oder jener Abart der Diktatur des Proletariats, diesem oder jenem Tempo der sozialistischen Umgestaltung der verschiedenen Seiten des gesellschaftlichen Lebens seine Eigenart verleihen. Nichts wäre theoretisch kläglicher als »im Namen des historischen Materialismus« in dieser Hinsicht ein Zukunftsbild in monotonem Grau zu malen.« (Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XIX, S. 281.)

In diesem Sinne müssen wir einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus unbedingt bejahen. [ . . . ]

Alles andere hängt von den subjektiven Faktoren, d. h. in erster Linie von dem Grad der Reife, der Entschlossenheit und der Einheit der deutschen Arbeiterklasse und Werktätigen ab. Möge uns hier die Zeit auf der Höhe der Aufgaben finden! Dann wird der besondere deutsche Weg zum Sozialismus ein relativ leichter und friedlicher sein können.



Quelle: Anton Ackermann, „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?“ (1946), abgedruckt in H. Weber, Von der SBZ zur DDR 1949-1968. Hannover, 1968, S. 265-66.

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