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Walter Pahl, Zusammenfassung wichtiger Aspekte des Gesetzes zur Mitbestimmung in der Montanindustrie (1951)

Die Bestätigung der paritätischen Montan-Mitbestimmung durch den Bundestag im April 1951 wurde von den Gewerkschaften als ein Teilsieg gefeiert. So blieb der „Arbeitsdirektor“ als gleichberechtigtes Vorstandsmitglied erhalten. Auch der Aufsichtsrat der Montanfirmen behielt seine wichtige Rolle, indem das fein austarierte Gleichgewicht von Kapital und Arbeit mit seinem komplizierten Wahlverfahren fortlief. Die Kohle- und Stahlindustrie operierte seitdem weiter mit einer Struktur, die den Arbeitnehmern und Gewerkschaften erheblichen Einfluss gab. In dem für die übrigen Branchen gültigen Betriebsverfassungsgesetz waren die Rechte schwächer und beschränkten sich auf Mitsprache und Konsultation durch den Vorstand. Zudem wurde das Montanmodell in den folgenden Jahren nicht nur durch den Niedergang der Kohleindustrie unterminiert, sondern auch durch den Aufstieg der Holding-Gesellschaften, unter deren Dach einzelne Montanunternehmen arbeiteten. Fortan wurden die wichtigen Entscheidungen über die Zukunft solcher Unternehmen auf der Ebene der Holding gefällt, wo keine Parität herrschte.

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Das am 10. April 1951 vom Bundestag der Bundesrepublik durch eine echte parlamentarische Entscheidung verabschiedete Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Bergbau und in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie verwirklicht für einen wichtigen Sektor der deutschen Großindustrie die Forderung unseres unvergesslichen Hans Böckler, die Arbeitnehmer in den Stand von „Wirtschaftsbürgern“ zu erheben, sie zu gleichberechtigten Partnern der Unternehmungen zu machen. Das Gesetz betrifft nur die Montanindustrie, damit aber das entscheidende Kerngehäuse unserer Gesamtwirtschaft. Von diesen „Kommandohöhen“ aus wird die Wirtschaft bis in ihre letzten Zellen bestimmt. Man wird die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf die Dauer nicht auf den Montan-Sektor beschränken können. Die in der Solidarität ihres Schicksals eng verbundene Arbeiterschaft wird sich nicht damit abfinden können, dass die Neugestaltung der sozialen Struktur nur die Grundindustrien betrifft.

Mit anderen Worten: Das Gesetz vom 10. April hat das Tor zu einer neuen Sozialordnung aufgestoßen, aber der Kampf um ihre Verwirklichung wird erst dann beendet sein, wenn die Sozialverfassung in ganz Deutschland aus den Fesseln der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit befreit wird.

Das Mitbestimmungsgesetz ist zwar ein Bündel von Paragraphen, aber man täusche sich nicht: Mit diesen Paragraphen ist ein revolutionärer Akt vollzogen, ist ein Markstein gesetzt – auf dem dritten Wege zu einer neuen Sozialordnung. Die frei-gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der ganzen Welt blicken heute auf die deutschen Gewerkschaften und ihren Kampf um die Mitbestimmung, in der zuversichtlichen Hoffnung, dass das Mitbestimmungsrecht aus der Sackgasse herausführt, in die wir durch die Alternative Kapitalismus – Staatssozialismus geraten sind.

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Die Paragraphen des Gesetzes vom 10. April (siehe unser Schaubild) bestimmen:

Neben fünf Vertretern der Aktionäre (Anteilseigner) werden in Zukunft fünf Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat über das Schicksal der Unternehmungen mitentscheiden. Das fünfte Aufsichtsratsmitglied auf beiden Seiten darf jedoch nicht Repräsentant einer Gewerkschaft bzw. einer Arbeitgebervereinigung sein. Sie werden im Gesetz als „weitere Mitglieder“ bezeichnet, zu denen auch der heiß umstrittene elfte Mann gehört. Dieser elfte Mann soll von den zehn Mitgliedern des Aufsichtsrates gewählt werden. Falls die direkte Wahl durch den Aufsichtsrat nicht zustande kommt, schlägt ein aus je zwei Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zusammengesetzter Vermittlungsausschuss dem Wahlorgan, das praktisch der Hauptversammlung des Unternehmens gleichkommt, drei Personen für die Wahl zum elften Mann vor. Die Wahl kann von dem Wahlorgan abgelehnt werden. Auf Antrag des Vermittlungsausschusses entscheidet das zuständige Oberlandesgericht über die Berechtigung dieser ablehnenden Gründe. Bestätigt das Gericht die Ablehnung, dann muss der Vermittlungsausschuss dem Wahlorgan drei weitere Vorschläge unterbreiten.

Von den fünf Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmerseite werden zwei, ein betriebsangehöriger Arbeiter und ein Angestellter, von dem Betriebsrat im Einvernehmen mit den im Betrieb führenden Gewerkschaften und deren Spitzenorganisationen vorgeschlagen. Der Bundesminister für Arbeit entscheidet, wenn sich Gewerkschaften und Betriebsrat nicht über die beiden Wahlvorschläge einigen können. Die drei weiteren Arbeitnehmervertreter werden von den Gewerkschaften im Einvernehmen mit dem Betriebsrat vorgeschlagen. Das Wahlorgan ist an die Vorschläge der Gewerkschaften und ihrer Spitzenorganisationen gebunden.

Der Aufsichtsrat wählt einen Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Mitglied des Vorstandes. Er gilt als gewählt, wenn die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sich auf seine Person einigt.





Quelle: Gewerkschaftliche Monatshefte 2 (1951), S. 225 ff; abgedruckt in Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Göttingen, 1982, S. 487-88.

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