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Mitbestimmungsrecht und Streikrecht: Brief Konrad Adenauers an den DGB-Vorsitzenden Hans Böckler und dessen Antwort (1950)

In der dramatischen Auseinandersetzung um den Fortbestand der Montan-Mitbestimmung drohte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit einem Massenstreik für den Fall, dass das von den Alliierten eingeführte paritätische Modell durch ein Gesetz vom Bundestag zurückgenommen würde. In seinem Brief weist Bundeskanzler Adenauer den DGB-Vorsitzenden Hans Böckler darauf hin, dass ein derartiger Streik illegal sei. Dem Parlament sei die Entscheidungsfreiheit im Grundgesetz garantiert und es dürfe nicht durch eine Streikdrohung politisch unter Druck gesetzt werden. In seiner Antwort verweist Böckler sodann auf die ebenfalls im Grundgesetz verankerte Meinungs- und Koalitionsfreiheit. Der Streik wurde am Ende durch Verhandlungen und einen Kompromiss verhindert: Die Montan-Mitbestimmung blieb erhalten. Das weitergehende Ziel des DGB, dieses Modell auf alle großen Industrieunternehmen auszudehnen, scheiterte und wurde durch das vom Standpunkt der Arbeitnehmer vergleichsweise schwächere Betriebsverfassungsgesetz ersetzt.

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I. Brief Adenauers an Böckler, 27. November 1950

[ . . . ]

Über das Mitbestimmungsrecht wird das Parlament Entscheidung treffen [ . . . ].

Mit Besorgnis erfüllt mich die Ankündigung der Industrie-Gewerkschaft Metall über die Durchführung einer Urabstimmung in den eisenschaffenden Betrieben. Das Rechtsbewusstsein und die Rechtsordnung haben den Arbeitern das Streikrecht in allen Fragen des Tarifvertrages zugestanden. Der angekündigte Streik geht aber über diesen Rahmen hinaus. Ein solcher Streik könnte nur das Ziel haben, die Entscheidung der frei gewählten Volksvertretung durch die Androhung oder Herbeiführung wirtschaftlicher Schäden, die alle treffen, in die Richtung der gewerkschaftlichen Wünsche zu drängen. Ich befürchte, dass damit ein Weg beschritten wird, der letztlich zu einem Konflikt mit der staatsrechtlichen Grundordnung führen kann.

Die Bundesregerung würde es daher sehr begrüßen, wenn der Bundesvorstand des DGB der Industrie-Gewerkschaft Metall in dieser Frage Zurückhaltung empfehlen und die parlamentarische Entscheidung abwarten würde.


II. Böcklers Antwort an Adenauer, 11. Dezember 1950

[ . . . ]

Meinem Brief vom 23. November – das darf ich an dieser Stelle zum Ausdruck bringen – lag die Absicht zugrunde, Ihnen, Herr Bundeskanzler, und damit dem gesamten Kabinett noch einmal zu sagen, mit welchem Ernst die deutschen Gewerkschaften das Problem der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft sehen. Dieser Ernst ist nicht zuletzt aus der Erkenntnis geboren, dass die Schaffung einer zeitgemäßen Wirtschaftsordnung, in der die Menschenrechte der Schaffenden volle Berücksichtigung finden, das vordringlichste Anliegen unserer Tage ist. Die deutschen Gewerkschaften sind der Ansicht, dass die allgemeine politische Entwicklung in der Welt mit aller Deutlichkeit zeigt, dass nur durch eine lebendige soziale Ordnung der Vermassung und dem Totalitarismus Einhalt geboten werden kann. Sie sind weiterhin der Meinung, dass es für die Demokratie in Deutschland lebenswichtig ist, dass sie nicht nur auf den politischen Bereich beschränkt bleibt, sondern ihre sinngemäße Ergänzung auch durch die Einführung demokratischer Grundsätze in der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung erhält. Den Beweis für ihre Auffassung sehen die deutschen Gewerkschaften in der Tatsache des Missbrauchs wirtschaftlicher Macht zu politischen Zwecken in der Vergangenheit und in der traurigen Folgeerscheinung dieses Missbrauchs, nämlich Krieg und Zerstörung.

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