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Lion Feuchtwanger, „Du sollst in Häusern wohnen, die du nicht gebaut hast” (20. März 1935)

Der erfolgreiche jüdische Schriftsteller Lion Feuchtwanger (1884-1958) befand sich auf einer Vortragsreise in den USA, als Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde. Feuchtwanger kehrte daraufhin nicht nach Deutschland zurück, sondern ging mit seiner Frau ins Exil nach Frankreich. In seiner Abwesenheit wurde sein Vermögen beschlagnahmt, sein Haus von SA-Schergen geplündert, seine Bücher verboten und bald darauf öffentlich verbrannt. Noch im selben Jahr wurde ihm außerdem die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Im März 1935 veröffentlichte er in der Exilzeitung Pariser Tageblatt den folgenden „offenen Brief“ an den Unbekannten, der nun in seinem Haus in Berlin lebte. Darin schildert er exemplarisch das wirtschaftliche, politische und physische Schicksal, das den deutschen Juden drohte. Die Identität des „Herrn X“ ist bis heute nicht bekannt, es ist unwahrscheinlich, dass er den Artikel gelesen hat. Feuchtwangers Hoffnung, nach Hitlers Sturz in sein Haus zurückzukehren, sollte sich nicht erfüllen. Nachdem er und seine Frau 1940 in Frankreich interniert wurden, gelang ihnen die Flucht in die USA, wo sie bis zu ihrem Lebensende in Pacific Palisades in der heutigen Villa Aurora wohnten.

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An den Bewohner meines Hauses Mahlerstrasse 8 in Berlin

Ich weiss nicht, wie Sie heissen, mein Herr, und auf welche Art Sie in den Besitz meines Hauses gelangt sind. Ich weiss nur, dass vor zwei Jahren die Polizei des Dritten Reichs mein gesamtes bewegliches und unbewegliches Vermögen beschlagnahmt und der Reichsaktiengesellschaft für Konfiskation des Vermögens politischer Gegner (Aufsichtsratsvorsitzender Minister Göring) überwiesen hat. Ich erfuhr das aus einem Schreiben der Hypothekengläubiger. Sie teilten mir erläuternd mit, die Rechtsprechung des Dritten Reichs verstehe, wenn es sich um das konfiszierte Vermögen politischer Gegner handle, unter ‚Vermögen‘ nur die Aktiva. Trotzdem also mein Haus und meine Banknoten, die die Hypothek um ein Vielfaches überstiegen, konfisziert seien, sei ich verpflichtet, die Hypothekenzinsen genau so wie meine deutschen Steuern aus meinem im Ausland neu zu erwerbenden Vermögen weiter zu bezahlen. Sei dem wie immer, jedenfalls sitzen jetzt Sie, Herr X, in meinem Haus, und ich habe nach der Auffassung deutscher Richter die Zinsen zu zahlen.

Wie gefällt Ihnen mein Haus, Herr X? Lebt es sich angenehm darin? Hat der silbergraue Teppichbelag der oberen Räume bei der Plünderung durch die SA-Leute sehr gelitten? Mein Portier hat sich damals in diese oberen Räume geflüchtet, die Herren wollten sich, da ich in Amerika war, an ihm schadlos halten, der Teppichbelag ist sehr empfindlich, und Rot ist eine kräftige Farbe, die schwer herauszubringen ist. Auch der Gummibelag des Treppenhauses war nicht gerade für die Stiefel von SA-Leuten berechnet. Wenn er sehr gelitten hat, wenden Sie sich am besten an die Firma Baake; der Belag ist der gleiche wie auf den Treppen der „Europa“ und der „Bremen“,* und diese Firma hat ihn geliefert.

Haben Sie begriffen, wozu ich die halbgedeckte Dachterrasse bauen liess? Frau Feuchtwanger und ich, wir verwandten sie für unsere morgendliche Gymnastik. Achten Sie bitte darauf, dass die Dusche nicht einfriert.

Was fangen Sie wohl mit den beiden Räumen an, die meine Bibliothek enthielten? Bücher, habe ich mir sagen lassen, sind nicht sehr beliebt in dem Reich, in dem Sie leben, Herr X, und wer sich damit befasst, gerät leicht in Unannehmlichkeiten. Ich zum Beispiel habe das Buch Ihres „Führers“ gelesen und harmlos konstatiert, dass seine 140.000 Worte 140.000 Verstösse gegen den deutschen Sprachgeist sind. Infolge dieser meiner Feststellung sitzen jetzt Sie in meinem Haus. Manchmal denke ich darüber nach, wofür man wohl im Dritten Reich die Büchergestelle verwenden könnte. Seien Sie vorsichtig, falls Sie sie herausreissen lassen, dass die Mauer darunter nicht leidet. Und hat man bei der Plünderung die Rundbank in der Fensterloggia der Bibliothek herausgerissen? Auf alle Fälle, Herr X, gibt es in dem Haus manches zu erneuern und wieder herzustellen. Darf ich Ihnen empfehlen, sich da an den Architekten Sobotka zu wenden? Es ist allerdings fraglich, ob dieser Herr seinen Beruf in Berlin ausüben darf; denn es gab dort nicht viele Architekten, die bauen konnten, aber viele Parteigenossen, die bauen wollten. Beschäftigen Sie bitte, wenn Ihre Beziehungen Ihnen das erlauben, trotzdem keinen Parteigenossen, sondern einen Sachverständigen. Es wäre schade um das Haus.


* „Europa“ und „Bremen“: zwei damalige Luxusliner.

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