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Thomas Mann, „Deutsche Hörer” (Juli 1942)

Thomas Mann (1875-1955), einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller und Nobelpreisträger für Literatur (1929), war ein entschiedener und artikulierter Gegner des Hitlerregimes. Zwar fielen seine eigenen Werke 1933 nicht der Bücherverbrennung zum Opfer, sein Bruder Heinrich und sein Sohn Klaus waren allerdings betroffen. 1938 waren er und seine Familie nach mehreren Auslandsaufenthalten in die USA emigriert. Ab 1940 begann er dort, monatliche Radioansprachen mit dem Titel „Deutsche Hörer!“ aufzuzeichnen. Nachdem die fünf- bis achtminütigen Aufzeichnungen in den USA auf Schallplatten gepresst wurden, übermittelte man sie nach London zur BBC, die sie schließlich über Langwelle bis nach Deutschland ausstrahlte. Manns Ansprachen wurden so zum Bestandteil der alliierten Demoralisierungstaktik. Die Zahl der regelmäßigen Zuhörer in Deutschland wird eher gering geschätzt, zumal das Hören ausländischer Sender als „Rundfunkverbrechen“ streng geahndet wurde. Dennoch reagierte Hitler auf die Angriffe seines berühmten Kritikers, indem er in seinen Reden namentlich gegen ihn hetzte.

Die hier abgedruckte Radioansprache aus dem Juli 1942 stammt aus einer Phase, in der Mann die Deutschen noch als Opfer der Hitler-Diktatur betrachtete und den geringen Widerstand in der Bevölkerung dadurch erklärte. Zudem geht er hier davon aus, dass die Deutschen tatsächlich Hitlers Niederlage ebenso herbeisehnen wie er selbst. Am Ende des Krieges hatte Mann seine Meinung jedoch revidiert und war zur Kollektivschuldthese übergegangen, die es ihm in der Nachkriegszeit unmöglich machen sollte, sich mit den Deutschen wirklich auszusöhnen.

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Ich weiß wohl, daß man euch nicht vor Übermut warnen muß, jetzt, da Hitler wieder mal im Siegen ist und Rostow erobert hat, die Stadt am Don, die er schon einmal erobert hatte. Es ist allbekannt, daß so etwas euch nicht in Übermut stürzt, daß die Radio-Fanfaren, unter denen es euch angekündigt wird, euch anwidern, daß ihr euch nicht im geringsten darüber freut. Nicht Siegestrunkenheit gibt es bei Euch zu dämpfen: man muß euch trösten. Nicht wir hier draußen bedürfen des Trostes, wenn die Kriegslage aussieht wie jetzt. Wüßtet Ihr, wie sicher wir unserer Sache sind, die, für den Anfang und als Vorbedingung alles Weiteren, die Sache von Hitlers Untergang ist! Der ist besiegelt, glaubt mir und fürchtet euch nicht! Er ist eine Weltnotwendigkeit, völlig unvermeidlich, und wird herbeigeführt werden, so oder so: daß dies feststeht, macht das Siegen des Elenden ja eben zu einer bloßen blutigen Albernheit. Ihr seid verstört und niedergeschlagen. Ihr denkt: sollte er doch triumphieren? Und nie werden wir ihn los? Und deutsch werden soll die Welt auf die verzweifelte Weise, wie wir jetzt deutsch sind? – Seid getrost! Hitlers Sieg ist ein leeres Wort: es gibt so etwas gar nicht, es liegt nicht im Bereich des Annehmbaren, Zulässigen, Denkbaren. Es wird verhindert werden, - vielmehr, er selbst wird es immer verhindern, der klägliche Schurke, durch sich selbst, durch seine bloße Natur, durch die Unmöglichkeit seiner trostlos verpfuschten Anlage, aus der er nur Falsches, Lügenhaftes, im voraus Verworfenes denken, wollen und tun kann. Man spricht vom betrogenen Teufel. Aber der Teufel wird nicht betrogen, er ist es, von sich aus und von vornherein. Nicht mit Faustens Seele, der Seele der Menschheit, wird dieser stupide Gottseibeiuns zur Hölle fahren, sondern allein.

Ich sage: seid getrost! Denkt ihr, er wird auch nur den Kaukasus bekommen, um seine Welteroberungswalze frisch ölen zu können? Und wenn er ihn bekommt, und die Russen stehen hinter dem Ural, - was weiter? Nun eben: weiter. Es kann nur weiter gehen, immer tiefer in Nacht, Wahnsinn und Tod hinein: ein Ende gibt’s nicht für den, es gibt nur sein Ende. Die Russen schließen nicht Frieden – das glaubt ja wohl niemand von euch. Die Nazi-Lügen-Revolution ist auf eine echte und wirkliche Revolution gestoßen, eine, von deren Entschlossenheit im Aufräumen ihr manches werdet profitieren können, ihr Deutschen, wenn eure Stunde kommt. Und diese russische Revolution ist durch langfristige, willensklare und menschheitshistorische Verträge verbunden mit der sich ebenfalls revolutionär verjüngenden, zu ihren sozialen Erfüllungspflichten erwachten angelsächsischen Demokratie, - verbunden mit ihr zu einem Kampf, den Hitler mit seinem Teufelsdreck von „Neuer Ordnung“ niemals bestehen kann. Auf dieses Bündnis blicken die unterworfenen, geplünderten, gemarterten, halb ausgemordeten Völker Europas, in denen unaufhörlich der noch ohnmächtige und doch immer wieder in wilden Einzeltaten sich frei machende Haß auf den schamlosen Unterdrücker wühlt und gärt, und die nur auf den Augenblick warten, wo sie in furchtbarem Aufstand das ekelhafteste Joch abschleudern können, das je Völkern auferlegt wurde, - darauf warten sie, Deutsche, wie ihr.

Man soll euch nicht zum Aufstand ermahnen, soll euch nicht fragen: wann werdet ihr endlich den höllischen Strizzi verjagen, der euch dies alles antut und das deutsche Antlitz zur Medusenfratze gemacht hat? Wann werdet ihr’s aufgeben und vor der Vernunft kapitulieren? Es hat keinen Sinn, so zu drängen und zu fragen, wir sehen das alle ein, denn ihr könnt nicht. Es ist nicht wie 1918, als Deutschland zusammenbrach. Ein Volkskörper, der in das Eisen des Terrors geschirrt und geschient ist, wie der euere, bricht nicht zusammen, sondern steht schauerlich aufrecht, auch wenn unterm Eisen schon alles verfault ist. Muß ich euch sagen, wie faul es schon aussieht bei euch unter dem Panzer, der euch auf den Beinen hält? Ihr wißt es besser als wir, und ich glaube, niemandem kann so vor euch grauen, wie es nachgerade euch graut vor euch selbst. Aber das geschiente Gespenst, das ihr bald sein werdet, muß doch einmal stürzen, und das wird der Moment eurer Wiedergeburt als Menschenvolk sein. Hat es nicht schon im vorigen Winter Massenerschießungen meuternder Truppen gegeben? Davon wird es bald mehr geben und immer mehr. Der Streik des sinnlos ausgebluteten Volksheeres – das wird aller Mutmaßung nach die Form eures Zusammenbruchs und eurer Erhebung sein.

Es geht zu Ende, Deutsche, glaubt mir und seid getrost! Gerade in diesem Augenblick sage ich es euch, wo es wieder einmal nach Erfolg und Sieg und Eroberung aussieht. Es geht zu Ende – nicht mit euch, nicht mit Deutschland. Die sogenannte Vernichtung Deutschlands ist ein ebenso leeres Wort, ein ebensolches nicht-existentes Unding wie der Sieg Hitlers. Aber zu Ende geht es, ein Ende wird es haben, und zwar bald, mit dem scheusäligen System, dem Raub-, Mord- und Lügenstaat des Nationalsozialismus. Aus wird es sein mit seiner Schund- und Schand-Philosophie und mit den Schund- und Schandtaten, die daraus erflossen. Man wird abrechnen, vernichtend abrechnen, mit seinen Bonzen, seinen Machern und Helfern, Dienern und Nutznießern, seinen Generalen, Diplomaten und Gestapo-Hyänen. Man wird auch abrechnen mit seinen geistigen Wegbereitern und Schildträgern, den Journalisten und Philosophastern, die seinen Geifer leckten, den Geopolitikern, Kriegsgeographen, Wehr- und Rasseprofessoren. Deutschland wird gereinigt werden von allem, was mit dem Unflat des Hitlerismus auch nur zu tun gehabt und was ihn möglich gemacht hat. Und eine Freiheit wird errichtet werden in Deutschland und in der Welt, die ans ich glaubt, die sich selber achtet, die sich zu wehren weiß und nicht die Tat erst, sondern schon den Gedanken in die Zucht der Ideen nimmt, welche den Menschen mit Gott verbinden.



Quelle: Thomas Mann, Deutsche Hörer! Fünfundfünfzig Radiosendungen nach Deutschland, zweite erweiterte Ausgabe. Stockholm: Bermann Fischer Verl., 1945, S. 64-66.

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