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Kronprinz Friedrich Wilhelm beschreibt ein Treffen des preußischen Staatsrats (17. Januar 1871)

Kronprinz Friedrich Wilhelm (1831-1888) war der Sohn des preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I. sowie der Vater Kaiser Wilhelms II. Vom 9. März bis 15. Juni 1888, also nur 99 Tage lang, regierte er Preußen und Deutschland als Kaiser Friedrich III. Bereits einige Zeit vor seiner Thronbesteigung hatte man bei ihm Kehlkopfkrebs festgestellt, und alle chirurgischen und anderen Versuche, die Krankheit aufzuhalten, schlugen fehl. Es war bekannt, dass er weniger reaktionäre Ansichten vertrat als sein Vater, sein Sohn und Bismarck, teilweise aufgrund des Einflusses seiner Frau, der Prinzessin Victoria, der Tochter Queen Victorias von Großbritannien. Allerdings war Friedrich III. nicht in dem Maße auf einen liberalen Kurs eingeschworen, wie viele seiner Zeitgenossen und einige Historiker meinten. Der folgende, aus dem Tagebuch des Kronprinzen entnommene Text beschreibt eine Zusammenkunft zwischen Wilhelm I., dem Kronprinzen und Bismarck einen Tag vor der Proklamation des Deutschen Reichs im Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar 1871. Selbst zu diesem Zeitpunkt herrschte noch tiefe Uneinigkeit über den Titel, den Wilhelm als neues Oberhaupt Deutschlands annehmen würde. Bismarck hielt den Titel „Kaiser von Deutschland“ für unangebracht, weil die Fürsten der anderen deutschen Staaten ihn als erniedrigend für sie betrachteten. Dasselbe galt für den Titel „Kaiser der Deutschen“. Eine Lösung wurde während der eigentlichen Zeremonie erdacht: Wilhelm würde lediglich als „Deutscher Kaiser“ tituliert werden. Ein Vergleich dieses Berichts mit Bismarcks Erinnerung an dieselben Diskussionen erweist sich als sehr ergiebig.

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Hauptquartier Versailles, den 17. Januar 1871

Beim König fand nachmittags eine Sitzung statt, welcher Graf Bismarck, Hausminister v. Schleinitz und ich beiwohnten. Als Graf Bismarck dem Hausminister von Schleinitz im Vorzimmer begegnete, sagte er ihm ziemlich barsch, er begriffe eigentlich nicht, was der Bundeskanzler gemeinschaftlich mit dem Hausminister beim König verhandeln solle. In überheiztem Zimmer wurde drei Stunden über den Titel des Kaisers, die Benennung des Thronfolgers, die Stellung der Königlichen Familie, des Hofes und Heeres zum Reich usw. beraten.

Hinsichtlich des kaiserlichen Titels bekannte Graf Bismarck, daß bereits bei den Verfassungsbesprechungen die bayerischen Abgeordneten und Bevollmächtigten die Bezeichnung „Kaiser von Deutschland“ nicht hätten zulassen wollen, und daß er endlich ihnen zuliebe, aber allerdings, ohne Se. Majestät vorher zu fragen, diejenige eines „Deutschen Kaisers“ zugestanden habe. Diese Bezeichnung, mit welcher gar kein eigentlicher Begriff zu verbinden ist, mißfiel dem König ebenso wie mir, und wir taten unser möglichstes, um an ihrer Statt das „von Deutschland“ zu erlangen. Graf Bismarck blieb jedoch dabei [ . . . ]. Ferner suchte er zu beweisen, daß der Ausdruck „Kaiser von Deutschland“ eine Territorialmacht, die wir über das Reich gar nicht besäßen, bedeute, während dagegen „Deutscher Kaiser“ die natürliche Konsequenz des ehemaligen imperator romanus sei. So mußten wir uns leider fügen, wenn es mir auch gar nicht gefallen will.

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Bei diesem Anlaß entspann sich eine recht peinliche Debatte über das Verhältnis von Kaiser zu König, weil Se. Majestät, den alten preußischen Traditionen zuwider, einen Kaiser höher als einen König stellt. Beide Minister und ich mit ihnen widersprachen dieser Ansicht aufs entschiedenste unter Berufung auf die historischen Dokumente unserer Archive, in denen König Friedrich I. bei Anerkennung des russischen Zaren als eines Kaisers ausdrücklich hervorgehoben hat, daß derselbe niemals den Vorrang vor dem preußischen König haben dürfe. Ferner ward angeführt, daß König Friedrich Wilhelm I. selbst bei der Begegnung mit dem deutschen Kaiser verlangt habe, gleichzeitig mit demselben in ein Zelt, das zwei Eingänge besaß, einzutreten, damit jener nicht den Vorrang vor ihm beanspruche. Endlich hob Graf Bismarck auch noch hervor, daß König Friedrich Wilhelm IV. nur aus der bekannten, ihm persönlich eigentümlichen Demut vor Österreich das Prinzip der Unterordnung unter das erzherzogliche Haus jenes Kaiserstaates eingeführt habe. Der König wurde aber durch jene Belege keineswegs überzeugt, geriet vielmehr in Zorn und erklärte, daß, da König Friedrich Wilhelm III. bei Begegnungen mit Kaiser Alexander I. bestimmt habe, daß letzterem als Kaiser der Vortritt gebühre, auch gegenwärtig der Wille des königlichen Vaters für ihn maßgebend und entscheidend sei. Ferner könnten wir auch unsere Ansprüche auf Rangerhöhung der englischen Königsfamilie gegenüber nicht durchführen, welcher anerkanntermaßen der Vorrang vor allen übrigen Fürstenhäusern Europas zustehe. Als indessen im Lauf der Verhandlung bestimmt ward, daß unsere Familie unsere gegenwärtige Stellung beibehalten sollte, sprach der König seinerseits wieder das Verlangen aus, die Gleichstellung derselben mit kaiserlichen Häusern auszudrükken. Bestimmt ward schließlich, daß hierüber nichts festgesetzt werden sollte [ . . . ]

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