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Bismarcks riskantes diplomatisches und militärisches Spiel aus britischer Sicht (Februar-August 1866)

Anfang 1866 war die Lage zwischen den beiden europäischen Mächten Österreich und Preußen sehr angespannt. Bismarck machte keinen Hehl aus Preußens mangelnder Bereitschaft, sich Österreich weiter zu beugen. Um die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, kündigte er im April Pläne für eine grundlegende Reform des Deutschen Bundes an. Diese Pläne umfassten Vorkehrungen für die Wahl eines nationalen Parlaments auf Grundlage des allgemeinen Männerwahlrechts. Der Konflikt, der schließlich Mitte Juni 1866 ausbrach, ist als Preußisch-Österreichischer Krieg, Deutsch-Deutscher Krieg oder Siebenwöchiger Krieg bezeichnet worden. Am 3. Juli 1866 entschied die Schlacht von Königgrätz den Waffengang zugunsten Preußens. Im Rahmen des am 26. Juli in Nikolsburg vereinbarten Präliminarfriedens und des Friedens von Prag am 23. August erhob Bismarck keine territorialen Forderungen an das Habsburgerreich; er bevorzugte eine beträchtliche Entschädigung, Annexionen in Norddeutschland, geheime Militärabkommen mit den deutschen Mittelstaaten sowie die Gründung des Norddeutschen Bundes (1867-1870) unter Führung Preußens. Die folgenden Textpassagen vermitteln Bismarcks diplomatisches und militärisches Hasardspiel aus Sicht des britischen Botschafters in Preußen, Lord Augustus Loftus (1817-1904). Wie viele andere betrachteten die Briten Bismarcks Politik anfangs als unbesonnen und eine preußische Niederlage als ihr wahrscheinliches Ergebnis; später räumte Loftus ein, dass kein anderer Staat in der Lage sei, den Kurs in Richtung deutscher Einheit festzulegen. Mit seiner häufigen Verwendung des Französischen war Loftus völlig typisch für die Diplomaten seiner Zeit.

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I.

Lord Augustus Loftus wurde im Dezember 1865 zum britischen Botschafter am preußischen Hof ernannt. Als er sein Amt Mitte Februar 1866 antrat, schrieb er:

Bei meiner Ankunft in Berlin fand ich eine sehr „geladene” politische Atmosphäre vor – „Il sentait la poudre“*, wie ein Franzose sagen würde.


II.

Am 7. März 1866 erhielt Loftus den folgenden Brief vom britischen Außenminister Lord Clarenden:

[ . . . ] Österreich wird eher dem Krieg ins Auge sehen als der Demütigung, die Preußen ihm zufügen will; und beim Verfolgen dieses Kurses liegt es meiner Meinung nach völlig richtig. Ein katastrophaler Krieg ist besser als eine freiwillige Schmach. Aber was, im Namen all dessen, das vernünftig, anständig und menschlich ist, kann die Rechtfertigung eines Krieges auf Seiten Preußens sein? [ . . . ]

Ich wünschte, Sie würden eine Gelegenheit ergreifen, Herrn Bismarck zu sagen, dass [ . . . ] wir ihn ernsthaft bitten, innezuhalten, bevor er einen Krieg anfängt, bei dem keiner die Ergebnisse oder das Ende vorhersehen kann.

Es ist unmöglich, dass irgendwelche wohl begründeten Beschwerden, die Preußen gegenüber Österreich haben mag, nicht durch Verhandlungen beigelegt werden könnten [ . . . ]

Ich weiß nicht, mit welcher Art von Widerstand Österreich rechnen kann oder welche Unterstützung es in Süddeutschland finden würde. Doch ich bin sicher, dass jegliche schwere Schädigung des Landes, die das derzeitige Machtgleichgewicht zerstörte, für den Rest Europas ein Unglück sein und als solches auch Unmut verursachen würde – tatsächlich scheint es, je mehr man die Frage erwägt, umso sicherer zu sein, dass Preußen die öffentliche Meinung Europas gegen sich aufbringen wird als eine aggressive und unvernünftige Macht; und dies wünschen wir nicht. Abgesehen von den Familienbanden ist Preußen die große protestantische Macht Europas, gegenüber der wir naturgemäß verwandtschaftliche Gefühle hegen, und es wäre tief zu bedauern, wenn wir es, weil mutwilliger Störer des europäischen Friedens, als einen gemeinsamen Feind betrachtet fänden; und noch bedauernswerter, wenn wir uns im Laufe der Ereignisse gezwungen sähen, in irgendeiner Form gegen es Partei zu ergreifen.


* „Es roch nach [Schieß-] Pulver.“

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