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Der Verein deutscher Studenten: Leipziger Studenten gedenken der ersten zehn Jahre (1881-1891)

An deutschen Universitäten gab es eine reiche Vielfalt von studentischen Burschenschaften und Vereinen. Manche betonten konfessionelle Zugehörigkeit (protestantisch, katholisch, jüdisch); andere gaben sich traditionell und legten besonderen Wert auf das Duellieren oder auf aristokratische Verbindungen; wiederum andere traten für liberalere Ideale ein. Der Verein deutscher Studenten (VDS oder V. D. St.) wurde 1881 gegründet. Seine ersten Ortsvereine entstanden an den Universitäten Berlin, Halle, Leipzig und Breslau. Der Verein schlug einen scharf nationalistischen Ton an, gelobte, das Deutschtum, die Monarchie und das Christentum zu verteidigen. Sein Antisemitismus war von Anfang an deutlich, nicht zuletzt, weil der neue Verein auf dem Höhepunkt der antijüdischen Agitation 1881 gegründet wurde. Der Verein trug außerdem erheblich zum Bismarckkult bei. Die folgenden Betrachtungen zweier Vereinsmitglieder wurden anlässlich des 50. Jubiläums der Verbindung 1931 verfasst und spiegeln das nationalistische Temperament seiner Gründergeneration wider. Sie schließen auch eine Erwähnung von Diederich Hahn (1859-1918) ein, einem Gründungsmitglied des Leipziger Lokalvereins und einem der prominentesten Redner des Vereins deutscher Studenten. Hahn war empfänglich für den Heldenkult um Bismarck und wurde später ein führendes Mitglied im Bund der Landwirte; es wird angenommen, dass er für Diederich Hessling Pate stand, den chauvinistischen Protagonisten in Heinrich Manns satirischem Roman Der Untertan (1918). Im letzten Satz der hier vorliegenden Erinnerungen wird Hahn „etwas Siegfriedhaftes” zugeschrieben.

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Hundert Semester Verein Deutscher Studenten zu Leipzig

Von A. H. Dr. R. P. Oßwald (Potsdam)
(aktiv 1903–07).


„Die Jugend muß Partei ergreifen; Parteinahme ist Enthusiasmus und was ist Jugend ohne Enthusiasmus?“

Diese Worte wurden von dem Rektor der Leipziger Universität, dem Theologen Luthardt, am 18. Januar 1881, auf dem in Leipzig zum ersten Male zur Erinnerung an die Reichsgründung veranstalteten allgemeinen Studentenkommers gesprochen und fanden weit über Leipzig hinaus auch an anderen deutschen Hochschulen mächtigen Widerhall.

„Der Traum der Freiheitskriege ist verwirklicht. Durch den Heldenkampf der Jahre 1870/71 sind Kaiser und Reich dem deutschen Volke wiedergewonnen. Auf neuem Boden erwachsen neue Aufgaben. Heute droht nicht der Feind vom außen: heute gilt’s einzutreten für deutsche Art und deutsche Sitte, für deutsche Treue und deutschen Glauben. Die unheimlichen Mächte der nackten Selbstsucht und der weltbürgerlichen Vaterlandslosigkeit, die Entsittlichung und Entchristlichung unterwühlen den alten festen Boden unseres Volkstums. Gewaltige Aufgaben sind der deutschen Jugend gestellt; auf ihr beruht die Zukunft des Vaterlandes. Die Pflicht erheischt, daß wir uns vorbereiten zu dem hehren und heiligen Berufe, mit Herz und Hand dem Vaterlande zu dienen.“

So klang es in dem Aufruf vom 17. Juli 1881, mit dem die deutschen Studenten zum ersten Kyffhäusersest am 6. August aufgefordert wurden, und der im wesentlichen von stud. jur. Diederich Hahn, dem Gründer des Leipziger V. D. St., verfaßt worden war.

„Der Geist, der aus Ihren Worten spricht, gewährt mir einen Blick in die Zukunft unseres deutschen Vaterlandes, in dem ich Trost finde für die Schäden, welche die Gegenwart aus der Vergangenheit übernommen hat.“

Mit diesen Worten dankte Bismarck am 2. August 1881 dem V. D. St. Leipzig auf ein Begrüßungstelegramm vom Schlußkommers des ersten Sommersemesters.

In diesen Aussprüchen des Reichsgründers, des akademischen Oberhauptes und des Führers der Jugend finden wir Inhalt und Richtung des V. D. St. Leipzig umrissen: Begeisterung für das wiedererstandene deutsche Kaiserreich und Vorbereitung zum Dienst am Vaterlande, um die Schäden zu heilen, welche die Gegenwart aus der Vergangenheit überkommen hat. Mit jugendlicher Leidenschaft ergriff man Partei, nicht für eine „Partei“, sondern für eine heilige Sache, für das Vaterland, das man im Reiche verkörpert fand, nicht im Partikularismus, nicht im Parteiengetriebe, nicht im wirtschaftlichen Wetteifer und nicht in materialistischem Hang, sondern im nationalen Fühlen und Wollen eines seiner Eigenart bewußten und auf seine Geschichte stolzen deutschen Volkstums. Deshalb begann man den Gründungstag des Deutschen Reiches als nationalen Ehrentag zu feiern, welcher bedeutungsvolle Tag bis dahin ohne Sang und Klang vorüber gegangen war. Feier nationaler Gedenktage zur Belebung des Nationalgefühls war von Anfang an ein Teil des Programms aller Vereine Deutscher Studenten und ist allmählich auf den größten Teil der übrigen Studentenschaft übergegangen. Das Reich war beherrschender Mittelpunkt im Denken des neuen Geschlechts, und so erkor es vom ersten Tage an den Reichsgründer, den Fürsten Bismarck, zu seinem Heros, der im richtigen Einfühlen in die Gedankenwelt der Jugend die neue Bewegung freudig begrüßte, trotz aller Anfeindungen, die diese in der Oeffentlichkeit erfuhr, und trotz aller Schwierigkeiten, die von akademischen Behörden ihr entgegengesetzt wurden. Bismarcks Anerkennung half jene Hemmungen überwinden.

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