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Jacob Burckhardt zu möglichen Konsequenzen der antisemitischen Aufhetzung (2. Januar 1880)

Jacob Burckhardt (1818-1897), ein Schweizer Kunst- und Kulturhistoriker, hatte von 1858 bis zu seiner Emeritierung 1893 eine Professur in Basel inne. Der folgende Brief richtete sich an seinen Freund Friedrich von Preen (1823-1894), einen Beamten, den Burckhardt 1864 auf einem seiner Spaziergänge in der Umgebung von Lörrach im Schwarzwald kennen gelernt hatte. Wie so viele andere Reaktionen auf Treitschkes Polemik gegen die Juden von 1879 wurde dieser Brief erst später, 1922, veröffentlicht und leistete somit keinen Beitrag zum Berliner Antisemitismusstreit. Obwohl Burckhardt weiß, dass die Konservativen und Katholiken die gegenwärtige Welle des Antisemitismus ausnutzen würden, um die Liberalen anzugreifen, und obwohl er eine solche Agitation als „kontagiös“ beschreibt, rät er den Juden und Liberalen, mehr Mäßigung an den Tag zu legen. Er scheint zudem staatliche Maßnahmen zur Einschränkung der Rolle der Juden in der Presse und anderen Gebieten des deutschen öffentlichen Lebens zu begrüßen.

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Jacob Burckhardt an Friedrich von Preen

Basel, 2. Januar 1880

[ . . . ]

Dem Semiten würde ich gegenwärtig große Klugheit und Mäßigung anraten und glaube selbst dann nicht mehr, daß die gegenwärtige Agitation wieder einschlafen werde. Der Liberalismus, welcher den Semiten bis jetzt verteidigt hat, wird schon in Bälde der Versuchung, ein solches Odium abzuschütteln, nicht mehr widerstehen können. Er wird nicht mehr lange zusehen können, wie Konservative und Katholiken den populärsten Trumpf, den es gibt, gegen ihn in Händen halten und ausspielen. Und dann wird auch die Gesetzgebung wieder verändert, und namentlich garantiere ich den Herren semitischen Juristen ihre Karriere nicht mehr auf lange Zeit. Sobald es für den Staat sicherer sein wird, einzuschreiten als länger zusehen, tritt Änderung ein. – Die Semiten werden namentlich ihre völlig unberechtigte Einmischung in alles mögliche büßen müssen und Zeitungen werden sich semitischer Redakteure und Korrespondenzen entledigen müssen, wenn sie weiter leben wollen. So etwas kann sich einmal plötzlich und kontagiös von einem Tage auf den anderen ereignen. [ . . . ]



Quelle: Jacob Burckhardt an Friedrich von Preen, 2. Januar 1880, in Jacob Burckhardt, Briefe an seinen Freund Friedrich v. Preen 1864-1893. Stuttgart und Berlin, 1922.

Abgedruckt in Karsten Krieger, Hg., Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879-1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Kommentierte Quellenedition, 2 Teile. München: K.G. Saur, 2003, Teil 1, S. 251.

Wiedergabe auf dieser Webseite mit freundlicher Genehmigung von K.G. Saur Verlag, München. Für weitere Ressourcen zur Geschichte des Antisemitismus klicken Sie bitte auf den folgenden Link: www.saur.de/zeitgeschichte-online. Dort finden Sie Informationen über die neue Online-Datenbank des K.G. Saur Verlags, "Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945."

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