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Erich Kempkas Augenzeugenbericht über die „Aktion Kolibri” am 30. Juni 1934 (Rückblick, 1954)

1921 hatte Ernst Röhm (1887-1934) die sogenannte Sturmabteilung (SA) als die paramilitärische Organisation der neuen NSDAP gegründet. Bis 1934 war die Mitgliederzahl der SA auf über 4 Millionen gewachsen und hatte den Aufstieg der Partei bis hin zu Hitlers Machtübernahme durch Straßengewalt und Einschüchterung politischer Gegner begleitet. Das brutale Vorgehen der SA war der entstehenden Hitler-Diktatur anfangs hilfreich. Andererseits befremdete es die traditionellen Machtinstanzen in Staat, Wirtschaft und Militär, auf deren Unterstützung Hitler nicht verzichten konnte. Die SA war vor allem den Reichswehrgenerälen ein Dorn im Auge, die in den blutrünstigen, vulgären Braunhemden eine ihnen unwürdige Konkurrenz im Kampf um die militärische Führung Deutschlands sahen. So versuchte die Reichswehrführung, aber auch hohe NS-Funktionäre wie Göring, Himmler und Joseph Goebbels (1897-1945), Hitler davon zu überzeugen, dass die SA womöglich einen Staatsstreich plante, um die von ihr geforderte „zweite Revolution“ herbeizuführen. Zusätzlich erhielt Hitler am 21. Juni 1934 Präsident Hindenburgs Befehl, endlich Kontrolle über die unberechenbare SA zu gewinnen und somit für Ruhe und Ordnung im Land zu sorgen. Der Kanzler beschloss, sich der politisch untragbaren SA zu entledigen. Am frühen Morgen des 30. Juni veranlasste er die „Aktion Kolibri“, nachfolgend von Hitlers Chauffeur Erich Kempka (1919-1975) beschrieben, während der die SA-Führung zerschlagen wurde. Zwischen dem 30. Juni und dem 2. Juli 1934 starben mindestens 85 führende SA-Funktionäre und andere lästige Gegner des Regimes, wobei heutige Schätzungen sich auf 150 bis 200 Todesopfer belaufen. Später veranlasste Hitler, diese politischen Morde durch einen Gesetzeserlass rückwirkend als Staatsverteidigungsmaßnahmen zu legalisieren.

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[ . . . ] Es dämmert bereits, als wir auf dem Münchener Flugplatz Oberwiesenfeld landen. Während des Fluges hatte es leicht geregnet, und das Gras am Flugplatz glänzt naß im Morgenlicht. Als Hitler aus der Maschine springt, erstatten ihm zwei Reichswehroffiziere Meldung. Er geht mit ihnen abseits und erteilt ihnen seine Befehle.

Beim Empfangsgebäude warten drei Wagen, die ich durch Funk aus der Reichsleitungsgarage in München bestellt habe, und neben ihnen stehen ein paar alte Freunde Hitlers aus den Anfängen der Partei. Hitler tritt an die Wagen heran und befiehlt, die Verdecke hochzuschlagen. Mir fällt sein schroffer Ton auf. Sein Gesicht ist noch ernster als während des Flugs. Ich sitze schon am Steuer, als er sich neben mich setzt: „Kempka, wir fahren zunächst zum Innenministerium."

[ . . . ]

Hitler setzt sich neben mich und befiehlt: „Auf schnellstem Weg nach Wiessee!"

Gegen halb fünf dürfte es gewesen sein, der Himmel hat sich aufgeklärt, fast ist es ein heller Tag geworden. Wir begegnen Sprengwagen und Leuten, die zur Arbeit gehen. [ . . . ] Schweigend sitzt Hitler neben mir. Hin und wieder höre ich, wie sich hinter meinem Rücken Goebbels mit Lutze unterhält.

Kurz vor Wiessee bricht Hitler plötzlich sein Schweigen: „Kempka", sagt er, „fahren Sie vorsichtig, wenn wir zum Hotel Hanselbauer kommen. Sie müssen völlig geräuschlos vorfahren! Falls Sie eine SA-Wache vor dem Hotel sehen [ . . . ] warten Sie nicht ab, bis mir die Wache Meldung erstattet, sondern fahren Sie weiter, und halten Sie erst vor dem Hoteleingang." Und nach einer Weile tödlichen Schweigens: „Röhm will putschen!"

Mir läuft es eiskalt über den Rücken. Alles hätte ich mir denken können, nur nicht einen Putsch von Röhm!

Vorsichtig, wie es Hitler befohlen hat, fahre ich vor dem Hoteleingang vor. Hitler springt aus dem Wagen, Goebbels, Lutze und die Adjutanten hinterher. Gleich nach uns hält ein zweites Fahrzeug mit einem in München zusammengestellten Begleitkommando der Kriminalpolizei.

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