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Ursprung, Motive und Strukturen von Bürgerinitiativen (27. Oktober 1973)

Als Lokalpolitiker umstrittene Entscheidungen wie den Bau von Autobahnen durch Wohngebiete fällten, welche die Lebensqualität erheblich beeinträchtigten, begannen Bürger, auf bestimmte Projekte beschränkte Protestbewegungen zu bilden, um die Politiker zu zwingen, ihre fehlgeleiteten Stadtentwicklungsprojekte aufzugeben.

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Die Bürger wehren sich. Partizipation oder: Die einzige Alternative? Bürgerinitiative am Beispiel Hamburgs


„Die Bürger siegten über die Behörde“ war Schlagzeile einer Hamburger Morgenzeitung in diesem Sommer. Es ging um eine innerstädtische Schnellstraße, um einen sogenannten Zubringer zur künftigen westlichen Autobahnumgehung Hamburgs, zu der auch der neue Elbtunnel gehört. Die Schneise für eine Verbindung mit dem Stadtstraßennetz hätte aus dem dichtbebauten Wohngebiet Ottensen herausgeschlagen werden müssen. Proteste gab es seit langem. Der Widerstand gegen die Absichten der Kommunalpolitiker organisierte sich schließlich nach dem Vorbild anderer Bürgerinitiativen. Am Ende blieb der Erfolg dieser lokalen Protestbewegung nicht auf die vorgesehene Trassenführung beschränkt und nicht einmal auf die Stadtverkehrsplanung überhaupt. Der Zubringer wird nicht wie vorgesehen gebaut. Aber es gibt, während die westliche Autobahnumgehung bereits weit gediehen ist, für diesen Ausfall noch keinen Ersatz.

Trotzdem handelt es sich nicht einfach um eine Kapitulation der Behörden. Ottensen, ein Altbauviertel mit engen Straßen, überwiegend schlechter Bausubstanz und relativ viel Industrie, ist ein Sanierungsgebiet. Die Baubehörde hat deshalb mit dem Verzicht auf den Zubringer, entsprechend dem Wunsch des zuständigen Bezirksparlaments, die Einsetzung eines Sanierungsbeauftragten zugesagt. Er soll künftig zwischen den einzelnen Bürgerinitiativen und den Behörden vermitteln. Bausenator Meister hat außerdem der Bürgerinitiative Ottensen ausdrücklich eine Mitbeteiligung an der Sanierungsplanung versprochen. Dazu ein Hamburger Beamter: „Ohne Beteiligung der Bevölkerung sind Sanierungsvorhaben heute nicht mehr zu realisieren.“

Der Fall Ottensen

Das klingt weniger nach Resignation als nach Bereitschaft zum Umdenken. Der Fall Ottensen ist, als ein Beispiel unter anderen ebenso erfolgreichen Protestaktionen, interessant im Hinblick auf die Entstehung und Entwicklung solcher Bürgerinitiativen. Ottensen hat eine überwiegend kleinbürgerliche Bevölkerung mit einem hohen Anteil an Arbeitern. Die Rebellion gegen den Autobahnzubringer liefert ein rares Beispiel für das Engagement der Bürger auch in sozial schwächer strukturierten Stadtteilen. Bisher wäre ein Ottenser Quartiergeist eher negativ zu umschreiben gewesen.

Auf die überraschende Solidarisierung der Bevölkerung zugunsten des angestammten Wohnviertels hat die Behörde mit Zeichen eines positiven Interesses an diesem lange vernachlässigten Wohngebiet reagiert. Die Planung von Büroflächen wurde um vierzig Prozent vermindert. Die Modernisierung der zahlreichen Altbauten, vor allem im näheren Bereich des Bahnhofs Altona, will man fördern, um den Charakter eines volkstümlichen Wohnviertels zu erhalten. Aber auch dies gehört zu den Folgen: Anfang Juli demonstrierte eine „Aktionsgemeinschaft Ottensen“ mit Umzug, Spruchbändern und Parolen weiterhin gegen die Stadtplaner. „Bürgermeister Schulz und Bausenator Cäsar Meister wurden mit höhnischen Versen bedacht", meldeten die „Altonaer Nachrichten“. Ein Sprecher der Bürgerinitiative distanzierte sich von dieser agitatorischen Konkurrenz.

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