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Dokumente - Die Rebellion einer Generation

Der Ausbruch eines Generationenkonflikts, der in dem symbolischen Jahr 1968 seinen Höhepunkt fand, hatte seinen Ursprung in einer wachsenden Stimmung der Unzufriedenheit unter den jungen Leuten. Eine Anregung kam aus der künstlerischen Avantgarde, die sich gegen die Wiedereinführung bürgerlicher Werte nach dem Zweiten Weltkrieg wandte (Dok. 1). Ein anderer intellektueller Impuls war die Formierung einer „Neuen Linken“, die sich zum Ziel setzte, eine Kritik an der entwickelten Industriegesellschaft jenseits des klassischen Marxismus zu formulieren (Dok. 2). Weitere Denkanstöße im Hinblick auf die Formen des gewaltlosen Protests stammten aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (Dok. 4). Die Planung und schließliche Durchsetzung von Notstandsgesetzen, die die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung im Falle einer Katastrophe aufrechterhalten sollten, waren ein Hauptthema, das aus Furcht vor der Beschneidung demokratischer Freiheiten Widerstand gegen die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hervorrief (Kapitel 2). Gleichzeitig war die linke öffentliche Meinung empört über die Fernsehbilder von amerikanischen Verbrechen im Vietnamkrieg, der als klassischer Versuch einer imperialistischen Macht angesehen wurde, einen nationalen Befreiungskampf niederzuschlagen (Dok. 3). Schließlich gab auch die überkommene Struktur der Ordinarienuniversität, die die Selbstverwaltung den ordentlichen Professoren überließ, insbesondere unter Studenten in überfüllten Universitäten Anlass zur Kritik.

Die diffusen Proteste eskalierten in massiven Auseinandersetzungen, als Forderungen der rebellierenden Studenten auf repressive Reaktion von Seiten der Behörden stießen. Der antiautoritäre Flügel der Bewegung war besonders erfinderisch darin, „das System“ zu provozieren, um seinen repressiven Charakter zu entlarven, und fand damit eine große Anhängerschaft unter den Kindern der wohlhabenden und liberalen Elterngeneration (Dok. 11). Als die Polizei während einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien den unbeteiligten Zuschauer Benno Ohnesorg erschoss, waren viele jugendliche Sympathisanten und liberale Erwachsene empört (Dok. 5). Der charismatische Studentenführer Rudi Dutschke gab den konservativen Politikern und den rechten Medien die Schuld an Ohnesorgs Tod und forderte die Enteignung des Presseimperiums von Axel Springer (Dok. 6). Den anhaltenden Hetzkampagnen des Boulevardblatts BILD fiel der Studentenführer jedoch bald darauf selbst zum Opfer, denn er wurde im April 1968 von einem geistesgestörten Arbeiter in den Kopf geschossen, was zu einer weiteren Welle von Solidaritätserklärungen und immer gewalttätigeren Protesten führte (Dok. 7). Im Anschluss daran begann die begabte linke Journalistin Ulrike Meinhof, die Anwendung von Gewalt zunächst gegen Sachen, dann gegen Menschen, zu rechtfertigen. Sie überschritt damit die Grenze zwischen Protest und Terrorismus (Dok. 8).

Die beiden gegensätzlichen Systeme in Ost und West begegneten der wachsenden Infragestellung ihrer Autorität grundlegend unterschiedlich. Die ostdeutsche Führung blickte misstrauisch auf das tschechoslowakische Experiment des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, da die Hoffnung auf eine Reform des Kommunismus von innen auch auf die Intellektuellen im eigenen Land anziehend wirkte (Dok. 9). Um daher das Aufkommen einer Kritik an ihrer eigenen Diktatur zu vermeiden, schloss sich die SED dem Ruf nach einer militärischen Niederschlagung des Prager Experiments an und unterdrückte schonungslos ihre eigenen Dissidenten (Dok. 15). In der Bundesrepublik waren Regierung und Bevölkerung anfangs ähnlich beunruhigt über die Bildung einer „Rote Armee Fraktion“, deren Ziel es war, die in der Dritten Welt erfolgreiche Taktik des Guerilla-Kriegs auf Westdeutschland zu übertragen (Dok. 12). Zur Erhöhung der „inneren Sicherheit“ verabschiedete die sozial-liberale Koalition den berüchtigten „Radikalenerlass“, der die Anstellung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst verbot und die Überprüfung von Bewerbern durch den Verfassungsschutz einführte (Dok. 13). Doch die Selbstmorde von Andreas Baader und Meinhof, die Ermordungen führender westdeutscher Manager und Politiker und die dramatische Befreiung eines entführten Flugzeugs in Mogadischu durch den Bundesgrenzschutz wirkten schließlich ernüchternd auf die radikale Linke. Im „Deutschen Herbst“ 1977 begannen einige der einstmaligen Befürworter radikaler Aktionen die Anwendung von Gewalt in Frage zu stellen und sich wieder legalen Mitteln des Widerstands zuzuwenden (Dok. 14). Während die DDR abweichende Meinungen unterdrückte, gelang es in der Bundesrepublik, diese in Form einer Veränderung von Werten und Lebensstilen einzubinden (Dok. 10).

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