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Ein Separatfrieden mit Russland? (19. November 1914)

Ende 1914 gab der damalige Chef der Obersten Heeresleitung, General Falkenhayn (1861-1922), gegenüber dem Kanzler seine Ansicht zu, dass Deutschland den Krieg militärisch nicht gewinnen konnte. Er war davon überzeugt, dass eine militärische Entscheidung an der Ostfront unmöglich war. England, so seine Auffassung, war der Hauptwidersacher Deutschlands. Um also die Briten von der deutschen Unbesiegbarkeit zu überzeugen, beabsichtigte Falkenhayn eine gewaltige deutsche Offensive im Westen, gepaart mit einer U-Boot-Kriegführung gegen die englische Handelsflotte. Der Erfolg dieser Unternehmungen war wiederum abhängig von einem Separatfrieden im Osten. Mit Unterstützung der Diplomatie hoffte Falkenhayn, dass mit einer begrenzten Offensive eine „moderate Niederlage“ der russischen Armee zu erreichen sei. Die volle Schlagkraft der deutschen Armee könnte dann nach Westen gerichtet werden. Die Schlussfolgerungen, die Falkenhayn aus diesen militärischen Kalkulationen zog, waren allerdings umständlich und politisch schlecht durchdacht; sie boten keine Lösung des strategischen Problems. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg war seinem Plan gegenüber skeptisch, ebenso wie die beiden militärischen Hauptrivalen Falkenhayns, Paul von Hindenburg (1847-1936) und Erich Ludendorff (1865-1937).

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General von Falkenhayn beurteilte die Situation folgendermaßen: So lange Rußland, Frankreich und England zusammenhielten, sei es uns unmöglich, unsere Gegner so zu besiegen, daß wir zu einem anständigen Frieden kämen. Wir würden vielmehr Gefahr laufen, uns langsam zu erschöpfen. Entweder Rußland oder Frankreich müsse abgesprengt werden. Gelingt es, was in erster Linie anzustreben sei, Rußland zum Frieden zu bringen, so würden wir Frankreich so niederzwingen können, daß wir den Frieden diktierten, selbst wenn die Japaner über See nach Frankreich kämen, und wenn England immer neue Nachschübe ins Feld schickte. Es sei aber mit Sicherheit zu erwarten, daß, wenn Rußland Frieden machte, auch Frankreich klein beigäbe. Dann würden wir England, wenn es uns nicht völlig zu Willen wäre, dadurch niederzwingen, daß wir es gestützt auf Belgien durch Blockade aushungerten, auch wenn dazu Monate erforderlich sein sollten. [ . . . ]

Nachdem die Niederwerfung Frankreichs in der ersten Kriegsperiode mißglückt ist und nach dem Verlauf, den unsere militärischen Operationen im Westen im jetzigen zweiten Kriegsabschnitt nehmen, muß auch ich bezweifeln, daß eine militärische Niederwerfung unserer Gegner noch möglich ist, so lange die Triple Entente zusammenhält.

Bleibt Hindenburg Sieger, so werden wir uns allerdings diesen Winter über Preußen, Posen und Schlesien von russischer Invasion freihalten können. – Wie sich die Dinge auf dem galizischen Kriegsschauplatz abspielen werden, läßt sich absolut nicht übersehen. – Im Westen wird es uns, so lange starke Heeresabteilungen im Osten stehen bleiben müssen, zwar gelingen, das bisherige Okkupationsgebiet zu halten, vielleicht auch in geringem Umfang auszudehnen, mit der Zeit Verdun zu nehmen und damit den Rückzug der Franzosen von der Aisne- in die Marnestellung zu erzwingen; eine völlige Besiegung und Vernichtung unserer Gegner aber in entscheidender Schlacht erscheint, nach den allerdings stets reservierten Mitteilungen des Generalstabs, ausgeschlossen. Diese Situation wird sich den Winter über halten, kann auch von uns als politisch durchaus günstig ertragen werden, eröffnet aber auch für die Folge keine Chancen für einen entscheidenden militärischen Sieg. Ein solcher kann vielmehr, soweit ich die Lage beurteilen kann, nur dann wenigstens erhofft werden, wenn wir unsere im Osten engagierte Armee nach Frankreich werfen können. Dann könnten wir, wenn wir es für richtig hielten, selbst ein etwaiges Friedensangebot Frankreichs zurückweisen, Frankreich, wenn uns das Glück zur Seile steht, militärisch so auf die Knie zwingen, daß es jeden von uns gewünschten Frieden annehmen muß und zugleich, wenn die Marine hält, was sie verspricht, England unsern Willen aufzwingen. Wir könnten also gegen den Preis, daß gegenüber Rußland die Verhältnisse im Wesentlichen so blieben wie vor dem Kriege, gegen Westen hin die passenden Zustände schaffen. Somit wäre zugleich die Triple Entente beseitigt. [ . . . ]

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