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Itzig Behrend, Chronik einer jüdischen Familie in Hessen-Kassel, ca. 1800-1815 (Rückblick)

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Im Monat Ellul [August/September] sind die meisten Franzosen aus dem Hannoverschen Land durch Hessenland nach Vayern gezogen, und was noch dageblieben, hat sich nach Hameln auf ein Jahr verproviantiert.

Derzeit habe ich Bruder Feibisch und Kaufmanu Scher hier viel alt und neu Eisen gekauft, als Räder, Winden, Ketten, Schmiedegeschirr (einen für 3000 Th.) von den Franzosen, die diese Sachen aus dem Zeughaus in Hannover genommen. Hiervon ist mehrenteils von und für 1400 Th. und für mich und Feibisch für 400 Th. und im Februar 1806 hier in einer Auktion für 600 Th. verkauft und dato war noch circa für 400 Th. netto vorräthig, welche circa 110 Th. auf Spesen zu rechnen ist.

Von Decbr. bis Februar waren viele Preußen, Russen, Engländer, Schweden im Hannoverschen Lande, sind aber alle unverrichteter Sache wieder in die Heimat gezogen. [ . . . ]

Rosch Haschana 1805 bin ich 39 Jahre alt geworden zum guten und war in meiner Lebenszeit kein theurerer Kornpreis wie dieses Jahr: Gerste 1 Thaler 6 gr. Roggen 1 Th. 24 gr. Hafer 24 gr. Bohnen 1 Th. 15 gr. [ . . . ]

Januar 1808 hat Kaiser Bonaparte seinen Bruder Hyronimus zum König von Westfalen eingesetzt mit der Bedingung, daß er die Hälfte der Domäne im Lande behalte. Hierzu gehört das Fürstentum, Minden, Ravensberg, Osnabrück, Paderborn, Hildesheim, Cassel, Göttingen, der Harz, Eichsseld, Goslar, Halberstadt, Magdeburg nebst angehörigen Ländern. Wie nun der König das Land angenommen, gingen die Parnossin als Deputierte nach Cassel, um ihm zu huldigen, mit großem Aufwand, jeder nach seinem Stand. Er hat allerlei neue Verordnungen herausgegeben, worunter auch, daß er die Juden von ihren Fesseln befreit hat und hat sie so gut wie die Goyim für Bürger erklärt. Jeder kann wohnen und handeln und handwerken was sie wollen.

Am 1. März ist der König von allen gehuldigt worden.

Den 27. Januar 1808 sollen laut königlichem Dekrete all die Gelder, so die Juden mehr wie Christen ausgeben aufhören. Hier haben wir sonst Schutzgeld geben müssen, jetzt nicht mehr, sondern jeder nimmt sich ein Patent auf das, was er treiben will.

Eine Branntweinschenke kostet jährlich 1 Thlr., ein Holzhandel 2 Thlr., ein Ellenhandel 4 Thlr., eine Schlächterei 3 Thlr., ein Kornhandel 5 Thlr., ein Großweinhandel 4 Thlr. Sonsten haben müssen für ein Ort (Flüssigkeitsmaß) einen Heller mehr Assiß geben wie der Goj, auch die Zunge von einem geschlachteten Vieh an den Rab abgeben, und von jedem geschlachteten Rind 1 Th. an die Renterei ohne den Fleischheller. Auch ist kein Leibzoll mehr. [ . . . ]

Den 6. August [1808] ist der König von Westfalen mit einer Suite (Gefolge) von verschiedenen Herren und Damen 60 Personen und wohl 300 Mann Soldaten, welche in Fußgarde und Gardecorps Kavallerie bestand, nach Nenndorf gekommen. Die Soldaten sind in Groß und Klein Nenndorf, Groß Rodenberg einquartirt gewesen, für welche wir sämmtliche Jehudim hier mit Feibisch Nenndorf die Lieferung gehabt an Fleisch und Brot und Stroh und Futter, wie auch Spezerei und Geflügel. Letzteres ist von einem Controlleur namens Messier befohlen und bescheinigt und von einem Marschall de Logie ausgezahlt worden. N. B. Mit einem starken Abzug. Der Verständige merkt was (fügt unser Chroniker hinzu).

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