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Religionsedikt von Johann Christoph von Wöllner, preußischer Justizminister und Chef des geistlichen Departements in religiösen Angelegenheiten, mitunterzeichnet von König Friedrich Wilhelm II. und verschiedenen Ministern (9. Juli 1788)

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§ 5. So sehr Uns das Proselytenmachen bei allen Confessionen zuwider ist, indem es allerlei verdrießliche Folgen bei der Volksmenge haben kann, so angenehm ist es Uns dagegen zu sehen, daß die Geistlichkeit sowohl, als Personen weltlichen Standes, sie seyn reformirte, lutherische oder römischkatholische Glaubensgenossen, dennoch bisher verträglich und brüderlich, in Absicht ihrer Religion, mit einander gelebt haben: Wir ermahnen sie daher, diese gute Harmonie, untereinander sorgfältig zu bewahren, und werden niemals entgegen seyn, wenn die verschiedenen Confessionen sich, in Absicht ihrer Kirchen und Bethäußer zu Haltung des öffentlichen Gottesdienstes, oder auf andere Weise, einander hülflose Hand bieten, sondern es wird Uns sothane Verträglichkeit vielmehr allezeit zum besondern Wohlgefallen gereichen.

§ 6. Wir verordnen zugleich, daß bei der reformirten sowohl, als der lutherischen Kirchen, die alten Kirchen-Agenden und Liturgien ferner beibehalten werden sollen; nur wollen Wir bei beiden Confessionen nachgeben, daß die damals noch nicht ausgebildete teutsche Sprache darinn abgeändert, und mehr nach dem Gebrauch der jetzigen Zeiten eingerichtet werde. Desgleichen einige alte ausserwesentliche Ceremonien und Gebräuche abgestellt werden; als welches Unserm geistlichen Departement beider Protestantischen Confessionen überlassen bleibt. Dieses Unser geistliches Departement hat aber sorgfältig dahin zu sehen, daß dabei in dem Wesentlichen des alten Lehrbegriffs einer jeden Confession keine weitere Abänderung geschehe. Dieser Befehl scheint Uns um so nöthiger zu seyn, weil

§ 7. Wir bereits einige Jahre vor Unserer Thronbesteigung mit Leidwesen bemerkt haben, daß manche Geistliche der protestantischen Kirche sich ganz zügellose Freiheiten, in Absicht des Lehrbegrifs ihrer Confession, erlauben; verschiedene wesentliche Stücke und Grundwahrheiten der protestantischen Kirche und der christlichen Religion überhaupt wegläugnen, und in ihrer Lehrart einen Modeton annehmen, der dem Geist des wahren Christenthums völlig zuwider ist, und die Grundsäulen des Glaubens der Christen am Ende wankend machen würden. Man entblödet sich nicht, die elenden, längst widerlegten Irrthümer der Socinianer, Deisten, Naturalisten, und anderer Secten mehr wiederum aufzuwärmen, und solche mit vieler Dreistigkeit und Unverschämtheit durch den äußerst gemißbrauchten Namen: Aufklärung, unter das Volk auszubreiten; das Ansehen der Bibel, als des geoffenbarten Wortes Gottes immer mehr herab zu würdigen, und diese göttliche Urkunde der Wohlfahrt des Menschengeschlechtes zu verfälschen, zu verdrehen, oder gar wegzuwerfen, den Glauben an die Geheimnisse der geoffenbarten Religion überhaupt, und vornehmlich an das Geheimniß des Versöhnungswerks und der Genugthuung des Welterlösers den Leuten verdächtig oder doch überflüßig, mithin sie darinn irre zu machen, und auf diese Weise dem Christenthum auf dem ganzen Erdboden gleichsam Hohn zu bieten. Diesem Unwesen wollen Wir nun in Unsern Landen schlechterdings um so mehr gesteuert wissen, da Wir es für eine der ersten Pflichten eines christlichen Regenten halten, in seinen Staaten die christliche Religion, deren Vorzug und Vortreflichkeit längst erwiesen und auser allen Zweifel gesezt ist, bei ihrer ganzen hohen Würde und in ihrer ursprünglichen Reinigkeit, so wie sie in der Bibel gelehret wird, und nach der Ueberzeugung einer jeden Confession der christlichen Kirche in ihren jedesmaligen symbolischen Büchern einmal vestgesezt ist, gegen alle Verfälschung zu schützen und aufrecht zu erhalten, damit die arme Volksmenge nicht den Vorspiegelungen der Modelehrer Preiß gegeben, und dadurch den Millionen Unserer guten Unterthanen die Ruhe ihres Lebens und ihr Trost auf dem Sterbebette nicht geraubet, und sie also unglücklich gemacht werden.

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