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Georg Forster, „Über das Verhältnis der Mainzer gegen die Franken”, gesprochen in der Gesellschaft der Volksfreunde zu Mainz (15. November 1792)

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Aber sie sind verschwunden von unserm gereinigten, der Freiheit und Gleichheit geweihten Boden, sie sind auf ewig in das Meer der Vergessenheit geworfen, diese Denkmäler der Bosheit der Wenigen und der Schwachheit und Verfinsterung der Menge. Frei sein und gleich sein, der Sinnspruch vernünftiger und moralischer Menschen, ist nunmehr auch der unsrige geworden. Für den Gebrauch seiner Kräfte, des Körpers und des Geistes, fordert jeder gleiches Recht, gleiche Freiheit; und nur die Verschiedenheit dieser Kräfte selbst bestimmt die verschiedene Art ihrer Anwendung und Nützlichkeit. Du Glücklicher! dem die Natur große Vorzüge des Geistes, oder auch gewaltige Leibesstärke geschenkt hat, bist du nicht zufrieden, zu so großem Genusse deiner eigenen Kräfte ausgestattet zu sein? Wie darfst du Dem, der schwächer ist als du, das Recht versagen, mit seinem geringern Maß von Kräften anzufangen, was er kann und was er ohne Nachteil eines Andern will?

Dies, Mitbürger, ist die Sprache der Vernunft, die so lange verkannt und erstickt worden ist. Daß wir sie hier laut reden dürfen, hier, wo sie nie ertönte, so lange nicht den Auswurf des Menschengeschlechts, nämlich ausgeartete, schwachsinnige Privilegierte, hier ihre besseren, nicht privilegierten Brüder verdrängten, – daß wir diese Sprache reden, wem Andern verdanken wir es als den freien, den gleichen, den tapferen Franken?

Es ist wahr, man hat dem Deutschen von Jugend auf eine Abneigung gegen seinen französischen Nachbar eingeflößt; es ist wahr, ihre Sitten, ihre Sprache, ihre Temperamente sind verschieden; es ist wahr, als die grausamsten Ungeheuer noch in Frankreich herrschten, da rauchte unser Deutschland auf ihr Geheiß, da ließ ein Marquis de Louvois, dessen Namen die Geschichte aufbewahrt, damit die Völker ihm fluchen mögen, die Pfalz in Brand stecken, und Ludwig XIV., ein elender Despot, lieh seinen Namen zu diesem verhaßten Befehl. Laßt Euch aber nicht irre führen, Mitbürger, durch die Begebenheiten der Vorzeit; erst vier Jahre alt ist die Freiheit der Franken, und seht, schon sind sie ein neues, umgeschaffenes Volk; sie, die Überwinder unsrer Tyrannen, fallen als Brüder in unsre Arme, sie schützen uns, sie geben uns den rührendsten Beweis von Brüdertreue, indem sie ihre so teuer erkaufte Freiheit mit uns teilen wollen – und dies ist das erste Jahr der Republik! So kann die Freiheit im Herzen der Menschen wirken, so heiligt sie sich selbst den Tempel, den sie bewohnt!

Was waren wir noch vor drei Wochen? Wie hat die wunderbare Verwandlung nur so schnell geschehen können, aus bedrückten, gemißhandelten, stillschweigenden Knechten eines Priesters, in aufgerichtete, lautredende, freie Bürger, in kühne Freunde der Freiheit und Gleichheit, bereit frei zu leben oder zu sterben! Mitbürger! Brüder! die Kraft, die uns so verwandeln konnte, kann auch Franken und Mainzer verschmelzen zu Einem Volk!

Unsere Sprachen sind verschieden; – müssen es darum auch unsere Begriffe sein?

Sind Liberté und Egalité nicht mehr dieselben Kleinode der Menschheit, wenn wir sie Freiheit und Gleichheit nennen? Seit wann hat es die Verschiedenheit der Sprachen unmöglich gemacht, demselben Gesetz zu gehorchen? – Herrscht nicht Rußlands Despotin über hundert Völker von verschiedenen Zungen? Spricht denn nicht der Ungar, der Böhme, der Östreicher, der Brabanter, der Mailänder seine eigene Sprache, und sind sie nicht alle eines Kaisers Knechte? Und hießen nicht einst die Einwohner der halben Welt Bürger von Rom? – Es wird doch freien Völkern nicht schwerer werden, sich gemeinschaftlich zu den ewigen Wahrheiten, die in der Natur des Menschen ihren Grund haben, zu bekennen, als es den Sklaven war, einem Herrn zu gehorchen?

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