GHDI logo

Georg Wedekind, „Anrede an seine Mitbürger”, gehalten in der Gesellschaft der Volksfreunde zu Mainz (27. Oktober 1792)

Seite 4 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


7. Ein anderer Fehler liegt darin, daß unsere Mainzer Fürsten aus dem Domkapitel gewählt werden. Was sind das für Leute? Ich verkenne nicht die Verdienste von verschiedenen unter ihnen. Die meisten Domherren aber sind unwissende Menschen, die nichts tun als fressen, saufen und huren. An Arbeit sind sie nicht gewöhnt, was sie einzunehmen haben, bekommen sie ohne ihr Bemühen. Wie kann man nun von solchen Leuten eine weise Regierung erwarten, wie kann man glauben, daß solche Bauchpfaffen über die Bedürfnisse des Untertans urteilen können? – Die meisten mainzischen Kurfürsten dachten darauf, wie sie ihre Familie bereichern wollten, für welche sie Paläste baueten und Kapitalien aufhäuften. – Sowie ein neuer Kurfürst zur Regierung kommt, so geht alles drunter und drüber; teils weil der neue Fürst sich zeigen will und doch gewöhnlich nicht weiß, wie er es machen soll, teils weil nun eine andere Frau Base oder ein anderer Herr Vetter das Wort führt. Da kann man denn sicher darauf zählen, daß, wenn ein neuer Herr die Regierung antritt, fast alles das Gute, was der Vorgänger etwa einrichtete, wieder unterdrückt wird.

8. Ein dritter Fehler ist der, daß unsere Fürsten Geistliche waren. Fürst und Priester gehören aber nicht zusammen. Jesus sagte den Juden, die ihn zum Könige machen wollten: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Ihr würdet es lächerlich finden, wenn ich Euch von einem Lande erzählen wollte, wo das Domkapitel aus lauter Medizinern bestände und wo der Kurfürst notwendig immer ein Arzt sein müßte. Aber äußerst gefährlich ist es, die geistliche und die weltliche Würde miteinander zu verbinden. Wer die weltliche Macht in Händen hat, der macht gar zu leicht von der geistlichen einen bösen Mißbrauch. Da wird Gewissenszwang eingeführt, und die Leute müssen eben glauben, was dem gnädigsten Herren gut dünkt. Mit der einen Hand fegt der Herr den Leuten den Beutel, und mit der andern gibt er ihnen den Segen. Er bringt es dahin, daß sich die Leute einbilden, ihn für einen wahren Nachfolger der Apostel zu halten, den der liebe Gott eingesetzt, mit einer besonderen Macht versehen hat und dem sie blindlings gehorchen müssen. Hat es der gnädigste Herr dahin gebracht, so kann er tun, was er will. Seht, darum hat also Jesus die geistliche Macht [nicht] mit der weltlichen verbinden wollen. Er wollte, daß jeder Priester sich von seiner Arbeit nähren sollte, so wie denn auch die Apostel alle Handwerker waren und ihr Gewerbe forttrieben. Der Herr Jesus, wenn er hier unter uns aufstehen sollte, würde es gewiß tadlen, daß Leute, die sich seine Nachfolger nennen, eine große Garde halten, Kammerherrn, Generäle, Stallmeister, Heidukken und so weiter haben, da er, des Menschensohn, doch kaum hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Stellt Euch, bitte ich nochmals, stellt Euch doch einen Nachfolger Christi auf Erden vor, der in einem Staatswagen daherrollt und Menschen, wie Narren gekleidet, so herabwürdigt, daß sie vor ihm her laufen müssen wie die Hunde.

So glaube ich denn dargetan zu haben, daß es unklug sei, einem einzelnen Menschen, und zumal einem Priester, die Regierung in die Hände zu geben.

[ . . . ]



Quelle: Georg Wedekind, „Anrede an seine Mitbürger“ (27. Oktober 1792), gehalten in der Gesellschaft der Volksfreunde zu Mainz, in C. Träger, Hg., Mainz zwischen Rot und Schwartz. Berlin: Rütten & Loening, 1963, S. 161-67.

Abgedruckt in Jost Hermand, Hg., Von deutscher Republik 1775-1795. Texte radikaler Demokraten. © Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1968, S. 142-48.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite