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Adolph Freiherr von Knigge, „Der neue Staat” (1792)

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So unwürdig eines Philosophen es ist, den Werth einer Unternehmung nicht nach der innern Güte des Zweks und der Mittel, sondern nach dem Glükke oder Unglükke des Erfolgs zu würdigen; so scheint es doch bey manchen Fällen, wenn von politischen Umwälzungen die Rede ist, nothwendig, sein Urtheil nicht blos nach moralischen und scientifischen Grundsäzzen einzurichten, sondern der Zeit zu überlassen, dem praktischen Nuzzen den die Veränderung stiftet, der Consequenz der angewendeten Mittel und der Möglichkeit der dauernden Ausführung das Wort zu reden. Da fallen denn nun freilich die Resultate oft ganz anders aus, wie unsre Raisonnements. Als Amerika die heilige, unleugbare Befugniß des Menschen, unbestimte oder von seiner Seite gebrochene Contrakte wieder aufzuheben, sich fremden Schuz zu erbitten, wenn man sich selbst schüzzen kann und die Früchte seines eignen Fleißes nach seiner eignen Weise zu genießen, gegen das uneigentlich so genannte Mutterland gelten machen wollte; da eiferten nicht nur Moralisten und Rechtsgelehrte wider die Undankbarkeit der Colonien, sondern die Staats-Propheten sahen auch voraus, daß diese, von eigennüzzigen Bösewichtern und Aufrührern irregeleitete, nicht von einem Geiste beseelte, unter sich selber durch Uneinigkeit getrennte Leute, ohne disciplinirte Armee, ohne Gesezze, ohne Bundesgenossen, ohne Geld, ohne Credit, wenig ausrichten und bald zum Gehorsame würden zurükgeführt werden. Den Journal- und Bücherschreibern der damaligen Zeit, besonders dem empfindsamen Herrn Fähndrich Anburey, dessen Beschreibung von Nord-Amerika der Herr Geheimerath Forster übersezt hat, schauderte die Haut, bey Schilderung der Abscheulichkeiten, durch welche die verblendeten Amerikaner sich alles Mitleids unwerth machten und ihr armes Land für Jahrhunderte in eine Wüsteney verwandelten. Er, und mit ihm nicht nur mancher andrer Fähndrich, sondern auch mancher General und Mann von Gewichte, beschrieb die Heere dieser Vagabonden, als Räuber-Rotten, die kaum verdienten von regulirten Truppen zu Paaren getrieben zu werden. Wer hätte auch glauben sollen, daß Leute ohne Schuhe und Strümpfe, die zuweilen blos davon liefen, wo man schiklicher nach dem Takte hätte retiriren sollen, die nicht wusten, was deployiren und durchziehn und dergleichen hieß, und deren Anführer gemeine Kerl, ohne Geburt und Stand waren, daß diese unsre bunten Männerchen mit Gold und Silber geziert, die, unter Anführung von Lords, Grafen und Edelleuten, alles nach dem Tempo zu thun verstanden, schlagen, gefangen nehmen und zum Lande hinausjagen würden? Die Zeitungen und Privat-Briefe waren voll von Zwist und Spaltung, die unter den Mitgliedern des Congresses herrschten, von Trennung und Unterwerfung einzelner Provinzen unter Britanniens Scepter, von allgemeiner Anarchie, Mord und Raube. Und wie sieht es jezt mit diesen Rebellen aus, nachdem kaum der sechste Theil eines Menschenalters seit jener Zeit verflossen ist? Keine Spur mehr von Mangel, Unordnung und Gährung! In voller Würde, respektirt und gefürchtet von allen Völkern des Erdbodens, steht der neu errichtete Staat da, nachdem er seine Freiheit muthig errungen und sich einen ehrenvollen Frieden verschaft hat — Ein wundersames politisches Phänomen! Menschen, unter verschiednen Himmelsstrichen gebohren, nun in eine Nation zusammengeschmolzen. Provinzen, deren jede sich besondre Gesezze gemacht hat, zu einem großen Staats-Körper vereinigt, ohne gemeinschaftliches einzelnes Oberhaupt, ohne Adel, ohne herrschende Religion, im höchsten Wohlstande und Flor, den nur Freiheit, Frieden, gute Polizey, Handel, Wissenschaften und Künste gewähren können, von Tage zu Tage zunehmend, in brüderlichem Bündnisse mit ihren ehemaligen Vormündern, ein Muster, dem andre Völker nachstreben! Wie gern würde mancher Fürst, der damals von den amerikanischen Rebellen mit der tiefsten Verachtung redete, jezt mit großer Herablassung und Dankbarkeit von der amerikanischen Nation eine kleine Statthalterschaft für einen seiner Prinzen annehmen, wenn dies Volk es zu erkennen wüste, wozu ein Fürstensohn taugt! Wie gern verfertigte jezt ein Schriftsteller, der damals seine Federn gegen den Congreß wezte, eine Lobrede auf die vereinigten Provinzen, wenn ihm das ein Jahrgeld eintragen könte!

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