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Wohnung und Häuslichkeit (1899)

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Es ist für die Menschenanhäufung in solchen Wohnungen charakteristisch, daß nur ein kleiner Teil ihrer Bewohner ein Bett für sich hat. So ergab eine Enquête über (im Sinne der Statistik) übervölkerte Wohnungen Breslaus, im Jahre 1896, daß von deren Bevölkerung ihr Bett teilten

mit
0
1
2
3
4
Personen
3291
8418
1305
104
26
Bewohner

Zu solchen und einigen anderen Konsequenzen führt die Umwandlung der centralen Teile von Städten mit wachsender Bevölkerung im reinen Markt. Die bewegliche wohlhabende Bevölkerung drängt unter diesen Einflüssen in die Peripherie, die aus anderen Epochen her noch weiträumig bebaut ist, Gartenhäuser und Villen enthält. Bald steht hier auch Haus dicht neben Haus, die Gärten erhalten sich noch hinter dem Hause, noch ist Licht, Luft, Spielraum da. Aber die Auswanderung aus dem Centrum steigt, der die Peripherie umklammernde Gürtel hält fest oder giebt nur an wenigen Stellen nach; noch enthalten die peripheren Zonen nur Wohnhäuser, aber Seitengebäude und Hinterhäuser, „Privatstraßen“ und „Gartenhäuser“ fangen an, die hinter der Straßenfront liegenden Hofräume und alten Gärten zu füllen; mancher alte Adelspalast, manches patricische Sommerhaus giebt sein weites Hinterland gegenüber den Lockungen der Speculanten auf. Und im Innern der Häuser giebt es nun zwar Parquet, Stuckdecken, Majolika-Oefen, Treppenläufer, Prachtdinge für die dem Centrum entronnenen besser situirten Detailkaufleute! Aber die alten weiten Räume trennen Zwischenwände, alles Nebengelaß wird in „Zimmer“ verwandelt und nur ein stilles Gemach behält seine alten Rechte, während Mädchengelaß, Vorrathsstube, Schrankzimmer, Speisekammer, Reserveverschlag, Plättraum, Badekabinet mit ein bißchen Stuck und Tapete schnell in herrliche Salons und Boudoirs verwandelt sind; ein tief unter dem Tapezierniveau stehender unverschämt bunter Luxus an widerwärtigen Decorationen grinst die Bewohner der „hochherrschaftlichen“ Wohnung von 7 „Zimmern“ für 2000 oder 3000 Mk. an, Licht und Luft benimmt ihnen die himmelhohe Steinwand gegenüber, der Seitenbau im Hof; und nach diesem schönen Muster verdecorirter und verstümmelter alter Wohnungen wachsen, wo noch ein Stückchen Garten frei war, 4 und 5 stöckige Kasten, mit dummen Gipsornamenten verunziert, in der ganzen Nachbarschaft hervor; Alles, was eine Wohnung behaglich macht, ist glücklich vertrieben, das moderne „feine Haus“ steht mit hohen Hinterhäusern, hohen Mieten und hochfahrenden „Vicewirten“ stolz vor dem erstaunten Jahrhundert. Von irgend einer Anwendung moderner, technischer Hilfsmittel keine Spur; das neue Haus ist ja technisch und in der Raumverteilung nur die Copie des in allen seinen Grundzügen nachträglich verpfuschten alten Hauses; modern ist an all diesen Straßenreihen, die nun wie Felsenschluchten sich auch hier und da in's platte Land hineinziehen, nur die rücksichtslose Ausnützung des dem Grundherrn widerspruchslos eingeräumten Luftmonopols. Denn geschlossene Straßenbebauung und wucherische Raumausnutzung im Hause heißt thatsächlich Ausbeutung eines unbeschränkten Luftmonopols. Ist es denn noch Luft, was dem Bewohner einer „herrschaftlichen“ Wohnung im zweiten Stock von der Straße her ins Fenster strömt, was zu ihm aus allen unteren Geschossen durch die Bodenfüllung emporsteigt, was ihn zu ersticken droht, wenn er aus dem Hinterzimmer, in dem seine Kinder arbeiten, in den engen Hofschacht hinunterblickt?

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