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Das Automobil (1913)

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Die weitere ästhetische Forderung, die wesentlich für die wachsende Beliebtheit des Automobils war, ist die Form der Karosserie. Hier haben die letzten Jahre entscheidend gewirkt. Man hat endlich die von der Pferdekutsche entlehnten Formen verlassen und Neugestaltungen geschaffen, die „Nur-Automobile“ sind, alle Zweckmäßigkeitsbedingungen erfüllen und in ihren schlanken glatten Formen sehr schön wirken. Aller Zierat, falsche Ornamentik, Leistenkram ist endlich überwunden. Die Automobilkarosserie hat ihr eigenes Gewand. Es ist, was besonders betont werden muß, eine deutsche Errungenschaft. Die Formen haben sich aus Zweckmäßigkeitsforderungen zu reinen Stilformen entwickelt und man konnte erleben, daß im letzten Pariser Automobilsalon die deutsche Karosserie das unbestrittene, fast beneidete Vorbild des guten Geschmacks war.

Überhaupt hat Deutschland allen Grund, mit den autotechnischen Leistungen des Letztjahres zufrieden zu sein. Allenthalben steigende Wertschätzung des soliden, gediegenen deutschen Fabrikats und Ausfuhrrekords. Die gefürchtete „Amerikanische Gefahr" hat weniger geschäftsschädigend gewirkt als man befürchtet hatte, weil die Minderwertigkeit der überbilligen amerikanischen Massenprodukte zu augenscheinlich war. So ist in allen Fabriken eine gewaltige Produktionssteigerung eingetreten, der heute, auch infolge der Kriegswirren, bereits eine gewisse Sättigung des Markts gegenübersteht. Es ist deshalb richtig, daß sich geeignete Neuerscheinungen an noch aufnahmefähige andre Erwerbskreise wenden. Es kommen jetzt noch leichtere zweisitzige Wagen auf den Markt, die zwischen 3500-4000 M. kosten und zweifellos Absatz und Nachfrage finden. Die kleinen 5 PS Wägelchen werden mit 2 hintereinander oder nebeneinander liegenden Sitzen gebaut. Die ungesellige Tandemanordnung dürfte sich wahrscheinlich keiner langen Beliebtheit erfreuen.

Natürlich wächst die Anwendung des Nutzautos ebenfalls recht erheblich, besonders die schweren Lastwagen für militärischen Bedarf, die Anwendung von Motorfeuerspritzen, Mannschafts- und Gerätewagen u. a. m. Mit großen Hoffnungen erschließt sich der Explosionsmotor auch das Gebiet des Motorpfluges.

Das Automobil ist also gegenwärtig in seinen „besten Jahren“!



Source: N. Stern, „Automobilbau“, in Das Jahr 1913. Ein Gesamtbild der Kulturentwicklung, herausgegeben von D. Sarason. Leipzig und Berlin, 1913, S. 259-61.

Abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul und Peter-Christian Witt, Hg. Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871-1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 45-47.

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