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August Bebel, Rede im Reichstag (8. November 1871)

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Die Kompetenzbedenken sind es denn auch nicht, welche mich veranlassen, gegen den vorliegenden Antrag zu stimmen, sondern es sind andere Gründe, meine Herren, prinzipielle und materielle Gründe. Der Artikel wie er hier beantragt ist, lautet: „In jedem Bundesstaate muß eine aus Wahlen der Bevölkerung hervorgehende Vertretung bestehen.“ Dieser Antrag ist so vage gefaßt, daß man faktisch alles Mögliche hineinlegen kann. Es ist nicht gesagt, auf welcher Grundlage diese Verfassung beruhen soll, ob bestimmte Grundrechte mit darin enthalten sind, nach welchem Wahlgesetze diese Volksvertretung zusammengerufen werden soll, ob eine Erste Kammer, ein Herrenhaus, oder wie Sie diese reaktionären Versammlungen sonst nennen wollen, bestehen soll oder nicht. Meine Herren! Freilich das Letztere ist ganz selbstverständlich, denn in Deutschland bestehen diese Institute überall, und Sie werden nicht glauben, vorausgesetzt, daß Ihr Antrag wirklich beim Bundesrate guten Boden findet, was ich noch sehr bezweifle, Sie werden nicht glauben, daß die mecklenburgische Regierung alsdann, nachdem der Antrag angenommen ist, im Liberalismus anderen Regierungen vorausgeht. Meine Herren, wenn die Mecklenburger nun eine sogenannte ‚moderne’ konstitutionelle Verfassung nach echt deutschem, preußischem, kleinstaatlichem Zuschnitte haben, sind sie denn wirklich um so viel Schritte in die Kultur weiter hineingerissen? Meiner Überzeugung nach sind sie um kein Haar weiter gekommen, — denn, meine Herren, wenn Sie eine Erste Kammer schaffen, wenn Sie ein Wahlgesetz kreieren, ungefähr wie das Dreiklassen-Wahlgesetz Preußens, was nach der Äußerung des Reichskanzlers in der ersten Sitzung des Konstituierenden Reichstags das miserabelste, elendeste Wahlgesetz ist, was es gibt, — meine Herren, womit sind die Mecklenburger dann gebessert? Wer wird nach einem solchen Wahlgesetz vertreten? Die Bourgeoisie, die besitzende Klasse; das Volk ist von den Wahlen ohne weiteres vollständig ausgeschlossen. Der Reichskanzler hat damals im Reichstage den Ausdruck das 'miserabelste, elendeste Wahlgesetz’ gebraucht, er wirtschaftet aber schon fünf Jahre mit diesem Wahlgesetze, er hat noch kein neues eingebracht, und den Herren von der Linken, die den vorliegenden Antrag mitgestellt haben, ist es auch nicht eingefallen, einen Antrag auf ein Gesetz, wodurch allgemeine direkte und geheime Wahlen eingeführt würden, in den preußischen Kammern einzubringen.

Bebel rechnet dann vor, daß unter dem sächsischen Zensuswahlrecht nur etwa ? der erwachsenen männlichen Bevölkerung wahlberechtigt ist, während nur wenige Tausend wählbar sind. Die Wahlbeteiligung ist deshalb gering, so daß die sächsische Volksvertretung nur von 4 bis 5% der Bevölkerung gewählt ist.

Diese 4-5 Prozent machen Gesetze für das Volk, sprechen im Namen des Volks, und das soll eine Volksvertretung sein. Nein, meine Herren, nun und nimmermehr, das ist Schwindel, wenn auf diese Weise das Volk vertreten und Gesetze gemacht werden sollen. (Große Unruhe und Gelächter.)

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