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Veränderungen in der deutschen Umgangssprache (1884)

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Musjö!“) Mehr noch als bei den Männern herrschte das Französische in der Anrede der Frauen. Ein Mädchen geringeren Standes wurde allerdings mit dem deutschen Worte „Jungfer“ angeredet. Ein Mädchen höheren Standes dagegen hieß „Mamsell“. Nur im Kirchenstile wurde sie „Jungfrau“ genannt. So wurde sie auch bei ihrer Verheiratung im Wochenblatte aufgeführt. Die Anrede „Fräulein“ gebührte allein den Töchtern adliger Familien. Waren sie schon in vorgerücktem Alter, so wurden sie „gnädiges Fräulein“ tituliert. Eine Frau wurde nur dann „Frau“ angeredet, wenn man dieser Anrede den Titel ihres Mannes zufügen konnte. Dieser Titel durfte auch, wenn man höflich sein wollte, nie ausgelassen werden. Besaß der Mann aber keinen Titel, so hieß die Frau „Madam“. Jedoch war auch hier der Adel bevorzugt. Adlige Frauen nahmen die Anrede „gnädige Frau“ in Anspruch. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte haben sich nun mehrfache Wandlungen begeben. Die Anrede „Mamsell“ und auch „Jungfer“ schwand mehr und mehr und macht der Anrede Fräulein Platz. Anfangs nannte man, als die erwachsenen Damen schon „Fräulein“ hießen, die halbwüchsigen Mädchen noch „Mamsellchen“. Aber auch dies ist verschwunden. Ein Mädchen von zwölf Jahren heißt jetzt „kleines Fräulein“. An die Stelle von „Madam“ trat „Frau“, auch ohne Titel, jedoch stets mit hinzugefügtem Namen des Mannes. Am längsten hielten (in Kassel) die französischen Benennungen auf dem Theaterzettel Stand, wo noch die Damen mit der Bezeichnung „Demoiselle“ und „Madam“ figurirten, als schon alle Welt sie anders nannte. Heutzutage erhalten auch unsere Dienstmädchen Briefe mit der Adresse „Fräulein“. Die Bezeichnung „Jungfer“ ist auf der Kammerjungfer, die Bezeichnung „Mamsell“ auf Probirmamsell hängen geblieben. „Madam“ wird im Volksmunde da gebraucht, wo man weder Titel noch Namen weiß. So hört man z.B. auf dem Markte: „Kaufen Sie etwas, Madam!“ Aus derselben Verlegenheit ist wohl auch der neueste Fortschritt auf diesem Gebiete hervorgegangen. In den geselligen Kreisen Berlins ist man öfters in der Lage, mit Damen zu reden, deren Titel und Namen man nicht genau weiß. Wie soll man sie also anreden? Da hat man kurzweg zu der Anrede „gnädige Frau“ gegriffen. Sie deckt alles. Sie hat auch den Vorzug, daß man nicht an der oft so schwerfälligen Standestitulatur stolpert. Und weil es so bequem ist, sagt man nun auch da, wo man den Titel weiß, kurzweg „gnädige Frau!“ Von Berlin aus hat diese Sitte sich weiter verbreitet und ist wohl jetzt schon in ganz Deutschland heimisch geworden. Von da ist es nur ein kleiner Schritt weiter, daß man auch jede unverheiratete Dame „gnädiges Fräulein“ nennt. Augenscheinlich ist bei diesem ganzen Sprachfortschritt der Adel schlecht weggekommen, gewissermaßen seines Vorrechtes enteignet. [ . . . ]

[ . . . ] Als pronominelle Anrede für die gegenüberstehende Person kannte die alte Welt nur das Wort „Du“ mit der entsprechenden Wandlung des Zeitworts in die zweite Person des Singulars. Die fortgeschrittene Höflichkeit hat in den neueren Sprachen verschiedene Anreden aufgebracht. Das Wort „Du“ ist nur noch für die vertrauliche Anrede geblieben. Für die minder vertrauliche Anrede gebraucht die französische und englische Sprache die zweite Person des Plurals. Auch in Deutschland war diese Anrede mit „Ihr“ die allgemein übliche. Sie ist auch heute noch die vorherrschende bei unsern Bauern, und wurde vor zwei Menschenaltern auch noch viel in der Stadt gebraucht. Zu einem Bauer, der vom Lande herein kam, oder zu einem geringeren Handwerker konnte man unbedenklich sagen: „Ihr seid etc.“

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