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Eine junge Berliner Adlige erinnert sich an einen Hausball, Eislaufen und Fahrradfahren (um 1890)

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Das Schlittschuhlaufen spielte eine beträchtliche Rolle. Da mehrere unserer Tänzer Regiments- oder Bataillonsadjutanten waren, schalteten wir ziemlich unbekümmert auf der Rousseau-Insel oder auf dem Neuen See. Wenn es uns gerade paßte, wurde die Musik früher bestellt, ein Wink, und es wurde uns zum Kontre oder zur Quadrille aufgespielt. So ein Schlittschuhtanz beanspruchte einen ziemlichen Raum, aber das übrige Publikum begehrte nicht auf; dichtgedrängt uns umstehend, sah es zu. In langen Ketten und Schlangen, oft in doppelter Gliederung, eine bedrohliche Phalanx, sausten wir dahin, unter den Brücken hindurch. Einmal „exerzierte“ uns einer der Herren. Wir waren etwa zwölf Paare, es ging glatt und korrekt, zum Schluß fegte die langgedehnte Reihe wie ein Sturmwind über den See. Der Schutzmann sah zu, hätte dergleichen eigentlich untersagen müssen; er dachte nicht daran, er schmunzelte. So gemütlich war man 1880 in Berlin. Unsere Mütter gingen indessen fröstelnd und frierend, blau und bleicher werdend, langmütig und pflichttreu am Ufer entlang.

Ganz neu, wie es heute dargestellt wird, ist der deutsche Frauensport denn doch nicht. Wir und die meisten unserer Freundinnen schwammen, ruderten, wanderten, turnten und liefen Schlittschuh. Die Töchter hoher Offiziere und Gutsbesitzertöchter ritten, nur von einigen zurückgebliebenen Vätern wurde es nicht gestattet. [ . . . ]

Im Winter 1896 habe ich mit dem Radfahren begonnen, das war damals ein kühner Schritt. Die gutgepflasterte, aber noch unbebaute Knesebeckstraße war der beliebteste Unterrichtsplatz; dort bin ich, dort sind viele Berliner zum ersten Male rechts und links abgefallen, bis wir die Sache herausbekamen. Berlin war hierin rückständig, von Damen der Gesellschaft haben die Botschafterin von Keudell und ich, meines Wissens, als erste sich öffentlich draußen auf dem Rad gezeigt. Anfänglich aber nur um 8 Uhr morgens im Tiergarten, denn noch konnte man von Fußgängern und Reitern schnöde Bemerkungen hören.

Bald aber wurde mit Begeisterung geradelt, das Radeln stand in jenen ersten Jahren im Mittelpunkt unserer Interessen, und das Rad mußte auf Reisen mitgenommen werden. In Berlin erhob sich jedoch ein Entrüstungsschrei über die Gefährdung des Fußgängerverkehrs. Wildenbruch und andere erließen scharfe Proteste – jeder Straßenübergang sei eine ernste Lebensbedrohung geworden! [ . . . ]

Zu jener Zeit war mir ja schon einige Freiheit zuteil geworden, für die damalige Jugend unserer Kreise hat das Radeln jedoch geradezu schrankenniederwerfend gewirkt. Mehrere Mütter lernten zwar gleichzeitig mit ihren Töchtern, vielen fehlte jedoch der Schneid, und die jungen Mädchen flitzten mit Brüdern, Vettern, auch mit ihren Tanzfreunden allein ins Weite hinaus.



Quelle: Marie von Bunsen, Die Welt, in der ich lebte. Erinnerungen 1860-1912. Nicht überarbeitete neue Auflage. Biberach, 1959, S. 50-54, 140.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter and Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 1982, S. 362-65.

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