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Eine junge Berliner Adlige erinnert sich an einen Hausball, Eislaufen und Fahrradfahren (um 1890)

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In guten Berliner Häusern überwog stets die Zahl der tanzenden Herren. Zwar wurde auch damals, wie seit Hunderten von Jahren, die temperamentlose Tanzunlust der „heutigen männlichen Jugend“ beklagt. So schlimm war es wohl nicht. Diese Leutnants hatten den ausgesprochenen Wunsch, mit netten Damen zu tanzen; war deren Karte vollbesetzt, griff man zu Extratouren. Deutlich sehe ich diese Umrisse noch vor mir; der legitime Tänzer und ich hatten herumgetanzt, jetzt stand, sich verbeugend, vor mir ein Leutnant, bat um eine Extratour. Lächelnd verbeugte ich mich zustimmend, darauf verbeugte sich der Neue erlaubnisheischend vor dem Legitimen, und nach dessen das Recht gewährender Verbeugung flogen wir davon. Wiederholte sich dies allzuoft, begehrte der Legitime auf, meinte, daß er jetzt dran sei. So war es oft ein atemlos berauschendes Gejage, und einige herzlose Mütter untersagten die Extratouren.

Man redet heute [1929] über die nie dagewesene Schamlosigkeit moderner Ballkleider. Genau so wurde damals gezetert, genau so ging der große Vischer gegen die „lüsterne Preisgabe weiblicher Reize“ vor und versuchte, natürlich erfolglos, Schmetterlinge mit Dreschflegeln zu erschlagen. Freilich durfte man nur in einem „Kostüm“, etwa als Bäuerin oder Blumenelfe verkleidet, den Wadenansatz zeigen, die heutige Bein- und Achselentblößung wäre undenkbar gewesen. Dafür wurde aber der Busen bewußter entblößt und zur Schau getragen. Gewiß nicht so hüllenlos wie Königin Luise, wie die großen Damen jener Vergangenheit, das hätten in meiner Zeit nur Kokotten getan, es wurde jedoch Hübsches, Nacktes, Anreizendes der Busengegend freigebiger als heute offenbart.

Selbstverständlich wurden von jedem Tänzer und jeder Tänzerin Handschuhe getragen, mit bloßen, heiß und feucht werdenden Händen sich anzufassen wäre unsäglich plebejisch gewesen.

Immer wurden auf diesen Bällen mannigfache Überraschungen gebracht. Wir tanzten alle verlangten Touren gut und sicher, wozu das Leutnantselement wohl beitrug. Besonders gelungen war bei uns eine von bengalischen Flammen erleuchtete Schneeballtour; im Schneegestöber wirbelten wir durcheinander. Ich schrieb, es sei feenhaft gewesen, und andere jugendlich harmlose Gemüter sollen ebenfalls dieser Ansicht gewesen sein. Silberne und andere Geschenke waren damals noch unbekannt, sie kamen erst später in anmaßend reichen Häusern vor. Zum Schluß wurden die Blumensträuße und die Kissen mit Schleifen hereingetragen. Unser geübter Blick erkannte bald, wie viele Sträuße auf jede Tänzerin berechnet waren, und es war natürlich erfreulich und wünschenswert, einige über den normalen Durchschnitt zu erhalten. Alles tanzte, alles flog durcheinander, immer rascher wurde das Tempo – es war unbeschreiblich schön. Dann jedoch mußte der Vortänzer, den von den Eltern erhaltenen Vorschriften zufolge, um zwei Uhr Herrn Neumann das Zeichen geben. Dieser spielte Halali, und das schöne Fest war beendet, heiße Fleischbrühe in Tassen wurde gereicht, man kühlte sich etwas ab und fuhr mit den Sträußen beladen nach Hause.

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