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Flachsanbau in der Lüneburger Heide (1870er Jahre)

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Die Drechsler hatten dazu die Spinnräder, Haspel, Garnwinden, Spulen und Spülchen zu machen, waren also mit dem Werdegang der Leinwand in den Bauernstuben aufs engste verbunden, und gute Spinnräder zu machen ist schwieriger, als Säulen und Vasen zu formen. Die Bauerfrauen oder die Großmägde kamen deshalb alle persönlich in die Werkstatt, um ihre Wünsche, besonders bei Reparaturen, vorzubringen; hing doch ihre Leistungsfähigkeit sehr von der Beschaffenheit des Rades ab.

Kam der Herbst und die Kartoffeln und Rüben waren eingebracht, dann hieß es für die Knechte:

Bartolomäus ist gekommen,
Hat Vesper weggenommen,
Hat Dreschflegel mitgebracht,
Nun sollst du dreschen Tag und Nacht.

Für die Mädchen aber wurden die Spinnräder aus der Bodenkammer geholt, und nun ging es ans Spinnen. Großmutter und Jungmägde spannen Hede (Werg) mit einspilligen Rädern, jede Vollmagd aber und junge Frau spann Flachs mit dem Zweispilligen. Karl Marx sagt zwar im ersten Bande des Kapitals: „Menschen, die mit zwei Händen hätten spinnen können, habe es ebensowenig gegeben wie Menschen mit zwei Köpfen.“ In diesem Falle hat er aber nicht recht. Eine Magd, die nicht mit zwei Händen, d.h. mit zwei Spindeln hätte spinnen können, wäre bei keinem Bauern in Dienst genommen worden. Abends kamen die jungen Mädchen mit ihren Rädern reihum bei einem Bauer zusammen. Die sogenannten Spinnstuben waren etwas Schönes, es wurde dabei mancher lose Scherz ausgeheckt, aber auch manches gute Wort gesprochen und guter Rat erteilt, viel wurde gesungen. Beim Abfüttern des Viehes auf der Hausdiele wurden Pfänderspiele gemacht oder auch ein Tänzchen zur Ziehharmonika.



Quelle: Heinrich Lange, Aus einer alten Handwerksburschenmappe. Leipzig, 1925, S. 44-48.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 1982, S. 183-85.

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