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Kategorien ländlicher Arbeiter am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

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Ist aber der junge Knecht der Fürsorge eines wohlwollenden Dienstherrn während seiner freien Zeit auf die Dauer entrückt, so bleibt, wie das auch auf den großen Gütern Norddeutschlands deutlich hervortritt, der Gesindestand nicht das, was er war und sein soll. Er verkommt in Sittenlosigkeit mehr und mehr. Es ist so auch nicht zu verwundern, daß die Dienstherrn sich immermehr mit dem, wenn auch teureren, verheirateten Gesinde behelfen oder ständige Arbeiter heranziehen. [ . . . ]

Hier darf darauf hingewiesen werden, daß man an jene Gegenden, wo noch von morgens 5 oder 5½ Uhr bis Sonnenuntergang gearbeitet wird, also an die östlichen Provinzen nicht den Maßstab der Verhältnisse Mitteldeutschlands legen darf. Knecht und Magd haben hier den leichtesten Dienst von allen Gutsbewohnern. Zwar pflegt man zu rechnen: 3 Uhr Aufstehen und Pferdefüttern, 5½ Uhr Ausrücken, ½ Stunde Frühstückspause, 1½ Stunde Mittagspause, wo ½ Stunde für Ab- und Aufschirren, Pferdefüttern u.s.w. nicht zu viel gerechnet ist, ½ Stunde Vesperpause und 9 Uhr abends oder noch später Einrücken, dann Abfüttern bis 10 Uhr; das macht 18-19 Stunden mit 2 Stunden Ruhe. Also 16 bis 17 Stunden Arbeit und doch der angenehmste Dienst? Aber die Feldbestellung nimmt die Arbeitskraft der Leute an sich wenig in Anspruch, viele der Ackergeräte sind mit Sitzen versehen. Bei der Ernte reitet der Knecht auf dem Sattelpferde seines Viergespannes. Bei der Größe und dem relativ extensiven Betriebe der Güter sind die Wege vom Felde zum Hofe oft sehr weit. Soll aber der Knecht im Sommer beim Mähen z. B. mithelfen, dann braucht er seine Pferde nicht zu besorgen. Endlich hört man wohl von der langen Arbeitszeit im Sommer, von der Winterarbeit aber spricht niemand. In Mitteldeutschland beginnt im Winter die Arbeit früh 6 Uhr und endet auch 6 Uhr bei 3 Stunden Eßpausen. Auf den Gütern im Osten Deutschlands wird auch in den kürzesten Tagen des Winters von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, also von 7½ Uhr morgens bis 4½ Uhr abends gearbeitet und dabei fällt höchstens die Vesperpause aus. Bei alledem scheint es freilich wünschenswert, daß im Osten die Arbeitsbedingungen leichter würden, wenn es auch nur wäre, um der Sozialdemokratie mit dem 17 und 18stündigen Arbeitstage ein wirksames Agitationsmittel zu entziehen.
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