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Die Kosten bürgerlicher Erziehung und Ausbildung (1860-1890)

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c) Zur Ausbildung von Bürgertöchtern: Das Schulgeld der zwei Töchter stieg pro Kind von 45 M. vierteljährlich in den Unterklassen auf 54 M. vierteljährlich in den Oberklassen. Für Klavierunterricht der beiden Mädchen zahlte der Vater jährlich 300 M. Nach dem Abgang von der Schule bekam die ältere Tochter Gesangunterricht, die Stunde zu 5 M. Insgesamt wurden in dem musikalischen Hause von 1867-1889, ohne daß eine berufliche Ausbildung in der Musik stattgefunden hätte, 4806 M. für Musikstunden ausgegeben.

Die Zukunft der Töchter machte dem Hausvater ernsteste Sorge, denn als Menschenkenner wußte er, daß ihre Aussichten auf Versorgung durch eine Heirat bei dem Mangel an Vermögen keine günstigen waren. Eine Berufsausbildung der Mädchen wurde damals von dem überwiegenden Teile der Standesgenossen als nicht standesgemäß betrachtet; schwerwiegender noch war, daß sie als Emanzipiertheit verpönt war. Aber so treu O. sonst an der Sitte als einem heiligen Erbteil der Väter festhielt, so wenig ließ er sich beirren, wenn es sich um die Zukunft seiner Kinder handelte. In der Wahl eines Berufes sah er das einzige Mittel, seine Töchter vor äußerer Not und seelischer Verkümmerung zu bewahren, und mit der ganzen Schroffheit seines Wesens hielt er ihrer sorglosen Jugend immer wieder diese ernsten Notwendigkeiten vor Augen. „Hübsch seid ihr nicht, Geld habt ihr nicht, also von Heiraten ist keine Rede.“ Es gelang ihm nicht, das überschäumende Temperament der älteren Tochter in die Zwangsjacke einer Berufsausbildung zu pressen, zumal ein energisches Durchgreifen des Vaters sich mit Rücksicht auf eine schwere, langnachwirkende Krankheit des heranwachsenden Mädchens verbot. Die Gesamtkosten ihrer Aufbringung in den 21 ½ Lebensjahren von ihrer Geburt bis zum Schluß der Rechnungsbücher [1889] berechnen sich auf 36 756 M., während die Erziehung und Berufsausbildung des ältesten Sohnes – freilich in die ältere Zeit mit billigeren Preisen fallend – nur 33 666 M. in Anspruch nahmen. Und zwar handelt es sich bei dem Sohn um ein Anlagekapital, das ihm in der Folgezeit selbst die Einnahmen eines hohen Beamten eintrug, bei der Tochter dagegen zum großen Teil um Ausgaben unproduktiver Natur infolge der hohen Lebenshaltung. Die ganze Tragik in dem Schicksal der anspruchsvoll gewöhnten, berufslosen Töchter vornehmer Beamter ohne Vermögen kommt in diesen Zahlen zum Ausdruck.

Die jüngere Tochter trat 1890 mit 17 Jahren in ein Lehrerinnenseminar ein. Es ist bezeichnend für das Maß von Einsicht, mit dem man damals in diesen Kreisen weibliche Berufsarbeit beurteilte, selbst in einem Falle, wo sie durch die ökonomischen Verhältnisse unbedingt geboten erschien, daß dieser Schritt von vielen Seiten als Blaustrümpfigkeit kritisiert wurde, zum mindesten als eine Sache, die nicht „ladylike" sei. Ueber die Kosten ihrer Berufsausbildung berichten die Rechnungsbücher nicht mehr.



Quelle: Gertrud Hermes, „Ein preußischer Beamtenhaushalt 1859-1890“, in Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 76 (1921): S. 80-83, 280ff.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 1982, S. 341-44.

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