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Handlungsgehilfen im wirtschaftlichen Wandel (um 1890)

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In den größeren Geschäften wohnt der Gehülfe in der Regel auf eigene Rechnung; es würde meist schon der Raum fehlen, um eine Mehrzahl von Gehülfen zu herbergen. Erst die ganz großen Geschäfte, wie der Pariser Louvre, können wieder darauf verfallen, Massenquartiere für ihre Angestellten herzurichten. [ . . . ] In Frankfurt a. M. kommt der Jahresbezug von 700 Mark, anderwärts sogar 600 Mark, ohne freie Station vor, in Hamburger Kolonialwarenläden 180 Mark mit freier Station, in Bautzener Kolonialwarenläden desgleichen 120 Mark, in einem Bautzener Detailgeschäft bei freier Wohnung 360 Mark; der Wert der freien Station wird im Durchschnitt auf 600 bis 720 Mark geschätzt. In den kleinen Posener Manufaktur-Detailgeschäften bilden sogar 720 Mark ohne freie Station die Regel; in Hamburger Kolonialwarenläden sind 600 Mark mit freier Station nach Angabe eines dortigen Gehülfenvereins schon ein günstiger Fall, in Stettin sind sie das Maximum für den Kleinhandel überhaupt, während in Bautzener Kolonialwarenläden bei freier Station 240 bis 360 Mark den Durchschnitt bilden, aber auch 1200 Mark erreicht werden. [ . . . ] Es war unvermeidlich, daß sich in der hier bezeichneten Schicht bejahrterer „junger Kaufleute“ ein ernstlicher Notstand entwickelte. [ . . . ] In München beziehen verheiratete Gehülfen 1200-2000 Mark, in Breslau 1200 bis 2400 Mark, in Hannover 1800-2400 Mark, in Königsberg 1800-3000, aber auch unter 1200 Mark, in Stettin durchschnittlich 1800, aber auch 1200 Mark und weniger, in Bautzen geht ihr Bezug bis auf 900 herab, erreicht aber im Durchschnitt 1800-2000 Mark. In Frankfurt a. M. sind 2400 Mark für ältere Gehülfen ein hohes Gehalt. Wenn diese Ansätze, auch in ihren Minimalbeträgen, erheblich höher sind als die früher mitgeteilten Gehälter, so ist das gewiß wesentlich auf die gute Sitte zurückzuführen, das Gehalt mit der Anciennität regelmäßig steigen zu lassen; daß sie trotzdem nicht immer auskömmlich sind, wird vielfach genug ausgesagt. [ . . . ]

Wenn wir nun zusammenfassen, worin der beginnende Übergang zum Großbetriebe seinen Einfluß auf die Lage der Commis bisher geltend machte, so hat sich unser pessimistisches Vorurteil nur in sehr geringem Maße bewahrheitet. Der verbreitetste Übelstand: die übermäßige Dauer der Arbeit, scheint doch mehr noch aus der Natur des Detailhandels überhaupt zu entspringen und von der Stunde des ortsüblichen Feierabends der Kunden abzuhängen, als daß es ein Mittel der Kleinbetriebe wäre, die Konkurrenz mit dem großen Betriebe zu halten; die Konkurrenz der größeren, wohlhäbigeren Betriebe scheint vielmehr geeignet, auch die kleinen Prinzipale zu größerer Freigebigkeit gegen ihre Gehülfen zu bewegen, so daß diese z. B. eine bessere Beköstigung ertrotzen können. Sofern die Gehülfen im Kleinbetriebe ungünstiger gestellt sind, wird dem auch vielfach eine geringere Leistungsfähigkeit entsprechen. Andrerseits in den größeren Geschäften selbst wird kürzer gearbeitet, Sonntags mehr geruht, auch etwas besser gespeist als in den kleinen, soweit die bezüglichen Nachrichten überhaupt reichen. Die allgemeine großstädtische und großbetriebliche Entwicklung der Volkswirtschaft mag wohl den Commis in schnell wachsenden Städten ihre Wohnungsverhältnisse verschlechtert haben, obwohl die kleinstädtischen Commiswohnungen auch nicht viel besser sind, aber zugleich hat sie doch seine Lebenshaltung gehoben und durch den früheren Beginn des Arbeiter-Feierabends manchem Commis seinen Arbeitstag verkürzt. Als Opfer des Großbetriebs stellt sich nur ein Teil pekuniär sehr unglücklich situierter älterer Commis dar, und auch bei ihnen ist doch persönliche Untüchtigkeit mit im Spiele.

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