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Carl Ferdinand von Stumm-Halberg, Ansprachen an seine Angestellten (um 1889)

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Auf der Fiktion der Existenz eines vierten Standes im Gegensatz zum Besitz beruht auch das verhängnisvolle Bestreben, die Arbeiter gegen ihre Arbeitgeber zu organisieren und sie unter die Führung von Leuten zu bringen, welche jede Kenntnis der Verhältnisse, wie Lohnhöhe, Arbeitszeit usw. abgeht. Es ist für mich eine der schwierigsten Aufgaben meines Berufes, genau abzuwägen, ob der eine im rechten Lohnverhältnis zum anderen steht, und ist keiner unter Euch, auch kein Arbeiterausschuß, den ich sonst sehr gern zu Beratungen heranziehe, imstande, mit diese Aufgabe abzunehmen; um wieviel weniger ist dies also bei Personen der Fall, denen eine eingehende Kenntnis des Betriebes und der Arbeitsverhältnisse abgeht. Nun sagt die Theorie: Der einzelne Arbeiter, der vermag nichts, der muß sich zum Kampf mit seinen Kameraden zusammenschließen. Sie übersieht aber ganz, daß sie sich damit mit einem zweiten ihrer Hauptsätze in Widerspruch setzt, wonach der Arbeitgeber immer der wirtschaftlich stärkere sei. Organisieren sich also die Arbeiter gegen die Arbeitgeber, so werden sich die letzteren notgedrungen auch gegen die Arbeiter organisieren müssen und dann allerdings dem Arbeiterstande schwere Nachteile zufügen können. „Selbst ist der Mann", ist der Grundsatz jedes tüchtigen Arbeiters, mit dem er auch seinem Arbeitgeber gegenüber am weitesten kommt, während sein Zusammenschließen zu Kampforganisationen, welche früher oder später immer unter die Botmäßigkeit fremder Agitatoren gelangen, seine Selbständigkeit vernichtet und ihn in einen Konflikt mit seinem Arbeitgeber setzt, welches jedes persönliche Verhältnis, das die beste Gewähr für das Wohl des Arbeiters bildet, vernichten muß. [ . . . ]




Quelle: Zusammengestellt nach den Reden Stumms an seine Arbeiter aus den Jahren 1889-1895 und veröffentlicht in Fritz Hellweg, Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg. Heidelberg-Saarbrücken: Westmark-Verlag, 1936, S. 289ff.

Abgedruckt in Ernst Schraepler, Hg., Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland. 1871 bis zur Gegenwart, 3. verbesserte Aufl. Göttingen und Zürich: Muster-Schmidt, 1996, S. 104-08.

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