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„Gewerbsfreiheit”: Auszug aus dem Staats-Lexikon: „Gewerbe- und Fabrikwesen” (1845-1848)

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gewerbefreien Ländern die Zahl der Gewerbtreibenden in den meisten Zweigen nicht nur nicht größer, sondern häufig geringer ist im Verhältniß zu der gesammten Bevölkerung, als in solchen Ländern, die noch an den Zunfteinrichtungen hängen. Diese sind auch — wie oben schon bemerkt — keineswegs mehr geeignet, durch ihre Vorschriften über Lehrzeit, Wanderjahre und Meisterstück eine tüchtige Ausbildung zu gewährleisten, und es sind daher auch die Befürchtungen ungegründet, daß durch ihre Aufhebung die Gewerbe in Verfall gerathen könnten. Ein gründlicher Kenner, Chaptal, erklärt, daß seit Aufhebung der Zünfte alle Zweige der Industrie in Frankreich vorangeschritten sind, und es liegt gewiß in der freien Mitbewerbung, in der Nothwendigkeit, sich durch Thätigkeit und Kenntnisse auszubilden, ein stärkerer Antrieb zu tüchtiger Vorbereitung, als in dem alten Schlendrian. Der Erfindungsgeist wird durch den allgemeinen Wetteifer geweckt, während ihm die Zünfte oft Hindernisse in den Weg legten. Say erzählt z. B., daß James Watt für seine Versuche, die zur Erfindung der Dampfmaschine führten, im Jahre 1756 eine kleine Werkstätte einrichtete; die Zünfte erhoben Einsprache und wollten die Werkstätte schließen; da legte sich die Universität ins Mittel, ernannte Watt zu ihrem Ingenieur und räumte ihm ein Local zu seinen Arbeiten ein. Argand, der Erfinder der nach ihm benannten Lampen, hatte mit den Zünften der Blechner und Schlosser zu kämpfen, welche das ausschließliche Recht, Lampen zu verfertigen, in Anspruch nahmen und den „Pfuscher“ bei dem Parlamente verklagten. Lenoir, ein berühmter Verfertiger mathematischer und physikalischer Instrumente hatte einen kleinen Ofen hergerichtet, um für seine Modelle Metall zu gießen; die Gießerzunft zerstörte den Ofen und Lenoir mußte sich an den König wenden, um ihn wieder herstellen zu dürfen. Die Unterdrückung der kleinen Unternehmer durch die großen endlich ist nicht eine Folge der Aufhebung des Zunftzwanges, denn die Klagen darüber sind nicht minder laut, wo neben der großen Industrie noch die Zünfte bestehen. Die Fortschritte der Technik und die Anwendung großer Capitale auf den Gewerbsbetrieb führt zu Aenderungen in den Gewerbeverhältnissen, welche durch die Zunfteinrichtungen nicht abgewendet werden können, falls sich ein Land nicht ausschließen will von einer neuen Quelle von Wohlstand und Macht, deren Erzeugnisse ihm alsdann aus andern Ländern zufließen und im Handel erscheinen. Wohl aber erleichtert die Gewerbefreiheit den kleinen Gewerben die Mittel und Wege, jenen Veränderungen zu folgen und sich neben denselben zu halten. Gewerbe von rein örtlicher Natur, wie die Bauhandwerke, Metzger, Bäcker, Anstreicher, haben ein Feld, welches ihnen die Fabrikation nicht nehmen kann. Andere erhalten sich neben demselben, weil der Fabrikant sich nicht nach dem Geschmack und den Neigungen des Einzelnen richten, die für den unmittelbaren Gebrauch seiner Erzeugnisse nöthigen letzten Verrichtungen nicht besorgen, auch die Ausbesserungen nicht vornehmen kann. Darum wird

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