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„Gewerbsfreiheit”: Auszug aus dem Staats-Lexikon: „Gewerbe- und Fabrikwesen” (1845-1848)

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ungehindert entfalten und Vereine wirken können, um gemeinsame Interessen zu fördern. Wo aber die Polizeigewalt Alles zu meistern und zu regeln gewohnt ist, da wird es bedenklich, berechtigte Körperschaften, selbst wenn sie in andern Beziehungen ihre guten Zwecke nicht mehr erreichen, aufzugeben, weil sonst der Einzelne, seiner letzten Schutzwehr beraubt, der allmächtigen Polizeigewalt auf Gnade oder Ungnade preisgegeben wird. Bei dem Uebergange von dem Zunftzwange zur Gewerbefreiheit sind wohlerworbene Rechte zu achten, z. B. die Inhaber verkäuflicher Meisterrechte zu entschädigen, nach dem Preise, welches ihr Recht im geschlossenen Gewerbe zur Zeit der Aufhebung hatte. Solche Entschädigungen sind zunächst aus dem Zunftvermögen, und, so weit dieses nicht zureicht, von den Gemeinden zu leisten, welche die Mittel entweder durch Umlagen auf alle Angehörigen oder von den neu zugehenden Gewerbsleuten durch Beiträge zu erheben haben. So hat z. B. die Stadt Breslau im Jahre 1810 die Realrechte mit einer Summe von 1,165,320 Thalern abgelöst. Die Schulden der Zünfte sind ebenfalls zu tilgen und werden vom Staate, welcher die Aufhebung verfügt, übernommen, wie im Jahre 1822 in Nassau geschehen ist, wo die Summe sich auf 8836 fl. belief. Weitere Uebergangsmaßregeln zur Beschwichtigung starker Besorgnisse können darin bestehen, daß man anfänglich nicht alle, sondern nur einzelne bisher zünftige Gewerbe, bei denen am wenigsten Bedenklichkeiten obwalten, ganz frei läßt, bei andern dagegen, wo ein zu großer Andrang in der ersten Zeit zu besorgen wäre, vorerst nur eine bestimmte Anzahl neuer Bewerber jährlich zuläßt. In Paris z. B. war die Zahl der Fleischbänke beschränkt und es ergab sich aus den Kammerverhandlungen von 1822, daß eine solche mit 100,000 Franken und höher bezahlt wurde. Dieses Monopol vertheuerte die Fleischpreise nachgewiesenermaßen fast um das Doppelte und hatte, in Verbindung mit dem Octroi, bewirkt, daß der Fleischgenuß beinahe um ein Drittheil abgenommen hatte. Im Jahre 1825 wurde beschlossen, daß von 1828 an die Zahl der Fleischbänke durch neue Concessionen bis zu 100 jährlich vermehrt werden solle. An die Ertheilung derselben waren als Bedingungen die Nachweisung gehöriger Gewerbskenntniß und eine Caution von 3000 Franken geknüpft; wer drei Tage lang den Betrieb einstellte, dem soll die Concession ein halbes Jahr lang entzogen werden. Die Gewerbefreiheit ist am besten geeignet, das durch den Zunftzwang gestörte naturgemäße Verhältniß des Angebots zur Nachfrage herzustellen. Die Mitbewerbung erweitert sich, wo die Gelegenheit zum Absatz zunimmt, oder durch Vervollkommnung und billigere Preise der Waaren so wie durch erhöhte Thätigkeit und Geschicklichkeit weiter ausgedehnt werden kann; sie vermindert sich leichter, wo der Gewerbsmann nicht in sein Handwerk eingebannt ist, sondern zu einem anderen Geschäfte leicht übergehen kann, sobald das seinige ihn nicht mehr ernährt. Die Besorgniß vor Uebersetzung der Gewerbe als Folge der Aufhebung des Zunftzwangs ist nicht in höherem Grade gerechtfertigt als bei den Zünften selbst, wo die vorhandene Anzahl der Meister, wie die Erfahrung lehrt, ebenfalls zu groß werden kann, so bald Einzelne mit größerem Capital und vielen Gehilfen das durch ihre Geschicklichkeit erworbene Zutrauen der Consumenten ausbeuten, oder sobald sich die Fabrikation der bisher handwerksmäßig verfertigten Gewerbswaaren bemächtigt und sie durch den Handel absetzen läßt. Ja es zeigt die Statistik, daß in

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