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Ein Magdeburger Kaufmann erinnert sich an einen Kaiserbesuch (1880)

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Um 8 Uhr begann die Theatervorstellung und als mein College und ich, so zu sagen als Hausherren, die hohen Herrschaften bei der Anfahrt vor dem Vestibül empfingen, gab der Kronprinz einen neuen Beweis seiner herzgewinnenden scherzenden Leutseligkeit und guten Laune, indem er mich mit den Worten anredete: „Mein Gott, da sind Sie ja schon wieder!" Während Oberbürgermeister und Stadtverordneten-Vorsteher den Kronprinzen, der Bürgermeister und mein College, der Major Schrader, den Prinzen Friedrich Karl zunächst in das Foyer führten, fiel mir die Ehre zu, den Prinzen Wilhelm, unseres jetzigen Kaisers Majestät, zu begleiten. Nach beendetem Festspiel nahmen die Herrschaften den Thee in Gesellschaft der zur Vorstellung befohlenen Damen und reisten dann zurück, weil der Kronprinz noch den Nachtzug nach Petersburg erreichen mußte, um seinen hohen Vater beim Leichenbegängniß der Kaiserin von Rußland zu vertreten. Der hohe Herr vergaß aber nicht, sich zu überzeugen, ob sein Adjutant auch wohl die ihm überreichten Bouquets habe, um sie seiner Gemahlin bei dem kurzen Zusammensein in Berlin, wo sie ihn auf dem Lehrter Bahnhof noch begrüßen wollte, auf der Durchreise zu übergeben. Darunter war auch eines, welches ihm mein Töchterchen, freilich außerhalb des Programmes, gebracht und das er ihr mit den freundlichsten und gütigsten Worten abgenommen hatte, nicht ohne ihr, bei der Frage nach ihrem Namen, noch zu sagen, daß er mich auch schon kennen gelernt habe. Man möge mir verzeihen, wenn ich bei diesem Tage und dem, was er mir persönlich gebracht hat, so lange verweilt habe, aber er ist ein Glanzpunkt in der Erinnerung an meine Vergangenheit.



Quelle: Otto Pilet, Ein Rückblick auf mein Leben, insbesondere auf die Entwicklung des Handels in den letzten 50 Jahren. Magdeburg, 1900, S. 67-70.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 1982, S. 73-75.

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