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Eine junge Adelige wird am Hof eingeführt (1882/83)

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Eisenbahnministers, den Vorrang, taktvoll hielten sie sich jedoch zurück. Nun kam das Gefürchtete, die lange, berüchtigte Bildergalerie, die Lästerallee, in der schon seit Stunden sämtliche Offiziere eingekeilt standen. Nur eine schmale Gasse blieb frei, durch diese mußten wir durch, und bei sichtlich Verängsteten oder irgendwie Auffallenden ergingen sich oft die Leutnants in halblauten Glossen. Das klingt sehr ungezogen, ist aber menschlich. Alle, auch die Gediegensten, die unbeweglich festgenagelt dastehen müssen, werden sich durch schnöde Bemerkungen über die Vorbeikommenden zerstreuen. Ein Bekannter hatte Berta und mir den Rat gegeben, „möglichst harmlos und befriedigt auszusehen". So geschah es auch, unsere Tänzer grüßten freundlich, nur unsere Namen hörten wir murmeln, während wir die endlose Gasse hinunterzogen.

In einem der folgenden Säle warteten, ordenstrotzend, die Generäle, und da stand Moltke. Ich kam ganz dicht an ihm vorbei und sah ihn in freudiger Erregung an; Kindern wird eingeschärft: „es schickt sich nicht, Menschen anzustarren", das, so fürchte ich, habe ich getan. Vermutlich sagte er sich – die da muß ich aus Schlesien
kennen – er machte mir eine tiefe Verbeugung. Beglückt versank ich in eine Reverenz, wie sie eigentlich nur gekrönten Häuptern zukommt.

Dann, in der Königinnenkammer, ließ eine jede die Courschleppe fallen, der Kammerherr, Graf Kanitz, hatte das Amt, sie schön auszubreiten, feierlich bewegte man sich vor. Im Thronsaal leise Musik, Lichtgeflirr, Goldglanz, ein geradezu unwahrscheinliches Diamantgefunkel; unter dem Thronhimmel stand groß, stattlich und gütig der Kaiser, neben ihm, halb sitzend, halb liegend, die gebrechlich gewordene Kaiserin Augusta. Zu beiden Seiten waren sämtliche Prinzen und Prinzessinnen aufgereiht und begrüßten durch ein Lächeln alle ihre vorbeiziehenden Bekannten, man erwiderte nur durch einen respektvoll freundlichen Gesichtsausdruck, denn nur vor dem Kaiserpaar sollte man sich verneigen. Unglaublich das Ausstrahlen, der Glorienschein aller Krondiamanten! Jetzt entfernte sich die Schleppe meiner Vorgängerin, mein Name wurde genannt, jetzt machte ich die langsame tiefe Verneigung! –

Es folgte das Konzert im Weißen Saal, wieder saß man in Kategorien, wir Neulinge unter der Musikgalerie. Zweifellos waren die künstlerischen Darbietungen vorzüglich, alle waren jedoch zerstreut, es gab zu viel
zu sehen. [ . . . ]



Quelle: Marie von Bunsen, Die Welt, in der ich lebte. Erinnerungen 1860-1912, unveränderte Neuauflage. Biberach, 1959, S. 90ff.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen. 3. Auf. München: C.H. Beck, 1982, S. 359-61.

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