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Carl Büchsel, protestantischer Pastor, beschreibt eine Brautwerbung und Hochzeit auf dem Lande (1865)

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[ . . . ] Im Ganzen darf man nicht übersehen, daß die Ehe ihre doppelte Seite, die bürgerliche natürliche und christliche himmlische hat. Auch bei gänzlicher Uebereinstimmung im Glauben übersieht man nicht ungestraft die bürgerliche Seite in bezug auf Bildung, Stand, Rang und Alter, und es gehört zur Ehe eine gewisse bürgerliche Gleichheit. Früher gehörte eine Ehe zwischen Adeligen und Bürgerlichen zu den Seltenheiten, und es gibt auch adelige Familien, die dergleichen Verbindungen nicht billigen. Die wirkliche aufrichtige Neigung wird durch ein Etwas bestimmt, das schwer zu definieren ist, wo sie einmal erwacht ist, kann sie viele Schranken überspringen, und unbedingt läßt sich nicht darüber urteilen. Vernünftige Eltern müssen unter Gebet des Herrn Willen zu erforschen suchen und ihn anrufen, daß er das Herz des Kindes regiere, auch anerkennen, daß die väterliche Macht wirkliche Grenzen hat, und die Verlobung, wenn sie auch abhängig ist von der Einwilligung der Eltern, doch gewiß ganz nahe an dieser Grenze liegt. Die Kinder müssen das bestimmte Gefühl haben, daß sie die Verantwortlichkeit für den Schritt, der ihr Verhältnis zum Vaterhause wesentlich lockert, selbst übernehmen. Es liegt darin, daß ein Zwang, sowohl nach der einen, als auch nach der anderen Seite hin wenigstens sehr bedenklich ist und leicht zu Mißverhältnissen und Verirrungen der schlimmsten Art Veranlassung geben kann, wie denn die Erfahrung deutlich genug lehrt. – Es ist eher zulässig, daß ein jüngeres Mädchen einen älteren Mann heiratet als umgekehrt, denn der Mann soll die Frau leiten und nicht die Frau den Mann, der jüngere ordnet sich aber leicht dem älteren unter. Ebenso ist eine glückliche Ehe leichter denkbar, wenn ein reicher Mann ein armes Mädchen heiratet als umgekehrt. Es ist gegen das natürliche Gefühl des tüchtigen Mannes, von dem Vermögen der Frau zu leben, weil er verpflichtet ist, Weib und Kinder zu ernähren. Sehr schön und wünschenswert ist es auch, wenn die beiden Familien, aus denen die Brautleute sich zusammenfinden, in freundschaftlicher Beziehung zu einander stehen.



Quelle: Carl Büchsel, Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen (1865-). 10. Aufl. Berlin: Gustav Warneck Verlag, S. 242ff.

Abgedruckt in Werner Pöls, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1815-1870. Ein historisches Lesebuch. 4. Aufl. München: C.H. Beck, 1988, S. 75-78.

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