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Katholische Sicht der Wirtschaft: Auszüge aus Wilhelm Emmanuel von Kettelers „Die Arbeiterfrage und das Christenthum” (1864)

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Möge daher Gott in seiner Gnade bald die Männer erwecken, die diese fruchtbare Idee der Produktiv-Associationen im Namen Gottes auf dem Boden des Christenthums in Angriff nehmen und zum Heile des Arbeiterstandes zur Ausführung bringen. Ein großer Theil der Arbeiter in den zahlreichsten Fabrikbezirken ist jetzt in Händen glaubensloser Männer und an ihren Lohn angewiesen; ihre Existenz ist doppelt gefährdet. Sie hängen nicht nur mit ihrer Lebensnothdurft von dem Tagelohn, der ihnen täglich entzogen werden kann, ab; sie sind überdies in Gefahr, daß ihre reichen Fabrikherren ihnen für diesen elenden Lohn auch noch ihren Glauben und ihr Gewissen abkaufen. Das ist ja so überaus betrübend und empörend bei dieser neuen Sklaverei unserer Tage. Wie manche reiche Fabrikherren benutzen den ganzen Einfluß, den sie dadurch haben, daß diese armen Leute ihnen dienen müssen, um ihnen ihren Christenglauben aus der Seele zu reißen. Ich sage, dadurch, daß sie ihnen dienen müssen; denn wenn man mir antwortet, daß der Fabrikarbeiter freiwillig arbeite, so antworte ich, daß diese Freiwilligkeit eine Täuschung ist. Hier verhält es sich wieder wie mit der Concurrenz und wie mit diesem ganzen liberalen volkswirthschaftlichen System, es ist voll Schein und Widerspruch mit der Wirklichkeit. Der arme Arbeiter lebt da in seiner Heimath, in der Nähe des Geschäftes. Man sagt ihm, es besteht Freizügigkeit, du kannst dir wo anders dein Brod suchen. Wie kann aber dieser Mann mit Frau und Familie auf Reisen gehen, um diesen Versuch zu machen! Er kann nicht einen Tag den Tagelohn entbehren, ohne zu hungern; wie kann er auf den Zufall hin, ob er Arbeit findet, Wochen lang auf Reisen gehen und nicht nur den Lohn entbehren, sondern auch die Reisekosten bestreiten! Er würde dem offenbaren Bettel und Hungertode entgegengehen; für ihn besteht keine Freizügigkeit, denn er kann keinen Gebrauch davon machen; er ist durch Naturgesetze an den Platz seiner Heimath gebunden. Die liberale Partei sagt ihm ferner: es besteht Gewerbefreiheit, wähle dir auf der ganzen weiten Welt ein anderes Gewerbe, du brauchst dich mit dem Tagelohn des Fabrikherrn nicht zu begnügen; wenn du es thust, ist es deine Sache. Das ist aber Alles wieder unwahr. Der arme Arbeiter, von dem wir reden, ist Familienvater; er hat die ersten zehn besten Jahre seiner Jugend in der Fabrik gearbeitet; er hat dort schon den besten Theil seiner Gesundheit zugesetzt; er hat auch bei der Theilung der Arbeit in der Fabrik keine andere Geschicklichkeit erlangt als diese eine kleine mechanische Verrichtung, dieses eine Stück einer Gesammtarbeit, das für sich gar keinen Werth hat. Seine Fabriklebensdauer ist vielleicht höchstens vierzig Jahre, und er fängt jetzt schon an, kränklich zu werden, da, wo er zugleich die meisten Bedürfnisse hat. Mag die liberale Partei noch so viel von Gewerbefreiheit reden, für diesen Mann (und das ist fast der Zustand aller Arbeiter in der Welt in einem gewissen Alter) gibt es weder Gewerbefreiheit noch Freizügigkeit; er ist, wenn er nicht verhungern will, mit seiner

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