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Sozialistische Sicht der Folgen der freien Marktwirtschaft: Auszug aus Ferdinand Lassalles „Offenem Antwortschreiben” (1863)

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Es ist daher eine Folge dieses ehernen und grausamen Gesetzes, daß Sie — und deswegen habe ich Sie in meiner Arbeiterbroschüre*), auf die Sie sich in Ihrem Schreiben berufen, die Klasse der Enterbten genannt — sogar von der durch die Fortschritte der Zivilisation gesteigerten Produktivität, d. h. von dem gesteigerten Arbeitsertrage, von der gesteigerten Ertragsfähigkeit Ihrer eigenen Arbeit notwendig ausgeschlossen sind! Für Sie immer die Lebensnotdurft, für den Unternehmeranteil immer alles, was über dieselbe hinaus von der Arbeit produziert wird.

Weil aber bei sehr großen Fortschritten der Produktivität (der Ergiebigkeit der Arbeit) zugleich viele Industrieprodukte zur äußersten Billigkeit herabsinken, so kann es kommen, daß Sie durch diese Billigkeit nicht als Produzenten, wohl aber als Konsumenten zunächst einen gewissen indirekten Vorteil von der gesteigerten Ergiebigkeit der Arbeit haben. Dieser Vorteil trifft Sie überhaupt nicht in Ihrer Tätigkeit als Produzenten, er trifft und ändert nicht die auf Ihren Anteil fallende Quote am Arbeitsertrag, er trifft nur Ihre Lage als Konsumenten, wie er auch die Lage der Unternehmer als Konsumenten und auch die aller an der Arbeit gar nicht teil nehmenden Menschen als Konsumenten — und zwar in viel erheblicherem Grade als die Ihrige — verbessert.

Und auch dieser Sie bloß als Menschen, nicht als Arbeiter treffende Vorteil verschwindet wieder durch jenes eherne und grausame Gesetz, welches den Arbeitslohn auf die Länge immer wieder auf das Maß der zum Lebensunterhalt notwendigen Konsumtion herabdrückt.

Nun kann es aber vorkommen, daß, wenn eine solche gesteigerte Produktivität der Arbeit und die durch sie eintretende äußerste Billigkeit mancher Produkte ganz plötzlich eintritt, und wenn sie zweitens zugleich in eine länger dauernde Periode der steigenden Nachfrage nach Arbeiterhänden fällt, — daß dann diese jetzt unverhältnismäßig billiger gewordenen Produkte in den Umfang dessen aufgenommen werden, was gewohnheitsmäßig in einem Volke zum notwendigen Lebensunterhalt gehört.

Dies also, daß Arbeiter und Arbeitslohn immer herumtanzen um den äußersten Rand dessen, was nach dem Bedürfnis jeder Zeit zu dem notwendigsten Lebensunterhalt gehört, bald etwas über, bald etwas unter diesem Rande stehend, dies ändert sich nie!

[ . . . ]


* Das „Arbeiter-Programm".



Quelle: Ferdinand Lassalle, „Offenes Antwortschreiben,“ in Gesammelte Reden und Schriften, Hg. Eduard Bernstein. Berlin: P. Cassirer, 1919-20, Band 3, S. 58-62.

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