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Friedrich Bülaus Ruf nach einer marktorientierten Lösung des Armutsproblems in Deutschland (1834)

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In neuerer Zeit ist man zu dem von den Alten versuchten Mittel zurückgekehrt und empfiehlt die Auswanderungen als den einzigen Weg, die überflüssige Bevölkerung auf eine für beide Teile wohltätige Weise loszuwerden. Wenigstens bekommen unsre ängstlichen Reichen bei dieser Gelegenheit die Armen aus dem Gesichte! Allerdings soll Freiheit der Auswanderung bestehen, weil ohne diese der Staat ein Kerker wäre. Der Entschluß jedoch, die Heimat seiner Väter zu verlassen, die Stätte, auf der man seinen Jugendtraum geträumt und auf der doch jeder wenigstens einige Momente des Glücks genossen, wenigstens etwas gefunden hat, das ihm teuer und wert war, ist ein großer Entschluß, und es steht nicht zu erwarten, daß ihn viele freiwillig ergreifen werden. Auch würde es wenigstens des Staates unwürdig sein, wenn er durch seine Einrichtungen nur darauf hinwirken wollte, einen Teil der Bevölkerung aus dem Lande zu treiben, gleichviel was das Geschick desselben in der Ferne sein werde. Günstig kann dieses, besondere Glücksfälle ausgenommen, nur sein, wenn der Auswandernde Anlagskapitalien oder Fertigkeiten besitzt, die er in der Heimat nicht, wohl aber im Auslande verwerten kann. Die Inhaber der ersteren sieht niemand gern auswandern. In bezug auf die letzteren dürfte es doch dem Staate obliegen, vorher lieber im Inlande Gelegenheiten zur nützlichen Ausübung derselben zu eröffnen. Soll der Staat zu Auswanderungen aufmuntern, die Auswandernden unterstützen, sie mit Mitteln versehen? Abgesehen davon, daß dies ein beschämendes Geständnis enthielte, so dürfte es leicht Summen in Anspruch nehmen, durch deren Verwendung im Inlande sich dasselbe Ziel erreichen ließe. [ . . . ]

Übervölkert kann man nur dann ein Land nennen, wenn es mehr Einwohner besitzt als es, unter vollständiger Entwicklung aller in der Natur und der Menschenkraft liegenden Hilfsmittel, zu ernähren vermag. Und ernährt ist die Bevölkerung, wenn es jedem möglich ist, bei angestrengtem Fleiße seine vernünftigen Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn dies letztere nicht der Fall ist, wenn viele im Volke auf allerdings vernünftige Bedürfnisse, z. B. auf eine gesunde, kräftige Nahrung, eine bequeme, warme und zweckmäßige Kleidung, eine geräumige Wohnung, eine wahrhaft bildende Erziehung, verzichten müssen, ja wenn sie in Not und Elend schmachten und in der Verzweiflung selbst zu Verbrechen schreiten, so ist dies alles noch kein Beweis einer Übervölkerung, solange in der Tat die Nachweisung noch nicht geführt ist, daß alle dem Lande zu Gebote stehenden Hilfsmittel erschöpft seien oder daß die Not der vielen ihren Grund nicht in dem Überflusse der wenigen habe. Denn von dem Zustande der Übervölkerung unterscheidet sich der Zustand der Nahrungslosigkeit wesentlich, in welchem die Bevölkerung — die gesamte oder ein einzelner Teil derselben — außerstand ist, sich zu ernähren, weil sie nicht alle ihr zu Gebote stehenden Hilfsmittel entfalten kann. Beide Zustände sind in ihren Symptomen und Folgen ähnlich, in ihren Ursachen und folglich auch in ihren Heilmitteln unendlich verschieden. [ . . . ]

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