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Victor Böhmerts Kritik am traditionellen, restriktiven Zunftwesen (1858)

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der letzte Grund zur Vertheidigung der Zünfte, die man gewöhnlich wegen ihrer gemeinsamen Hülfsanstalten noch für zweckmäßig hält. Es ist ganz bedenklich und unwirthschaftlich, die Vorstände von 30 bis 40 Innungen einer Stadt mit der Verwaltung derartiger Cassen zu beschweren und nun gar etwa heruntergekommene Innungsmitglieder auf die Innungskassen anzuweisen, wenn die Selbsthülfe und Privatthätigkeit schon längst viel wirksamere Mittel ersunden und angewendet hat, wodurch sich jeder Staatsbürger vor dem verarmenden Einflusse der Krankheit, des Alters, des plötzlichen Vermögensverlustes etc. schützen kann.

Wir sind oben bei Erwähnung der aus dem Associationstriebe der Gegenwart hervorgegangenen Anstalten bei den Vereinen zu gemeinschaftlicher Arbeit stehen geblieben. Sie bilden die letzte Stufe der beschrittenen Associations-Leiter und setzen den lebendigsten Gemeinsinn voraus. Wird es möglich sein, die arbeitenden Klassen an den Vortheilen des Groß- und Fabrikbetriebes auch dadurch mehr zu betheiligen, daß sie selbst, in größerer Gemeinschaft, als Unternehmer und Arbeiter zugleich, auftreten, daß sie in gemeinsamer Werkstatt und Fabrik ihre Arbeit verrichten und sich sowohl in die Arbeit als auch in die Gewinne, je nach dem Maße ihres Talentes und ihrer Arbeitskraft und Geschicklichkeit und nach ihren Leistungen theilen? Wir stehen hier vor einer Aufgabe der Zukunft, deren eingehende Erörterung die Grenzen dieses Aufsatzes überschreiten würde. Es genüge an dieser Stelle die Bemerkung, daß nicht nur das zahlreiche Bestehen, sondern auch das Gedeihen solcher Vereinigungen von Arbeitern eine erfreuliche Thatsache geworden ist. Wir verweisen in dieser Hinsicht auf Huber's Reisebriefe und seine Mittheilungen über französische und englische Handwerkergenossenschaften. Auf deutschem Boden keimen bis jetzt noch sehr spärliche Früchte dieser Art von Genossenschaften, obwohl wir gerade die Gemüthsnatur der Deutschen und ihren geselligen Sinn für förderlich und vielversprechend in dem einstigen vollkommeneren Dienste dieser Idee halten. Die Schwierigkeiten der Ausführung liegen auf der Hand. Die allererste Vorbedingung für das Entstehen solcher Vereine ist natürlich die vollkommenste Freiheit der Arbeit; dann müssen aber auch die Glieder eines solchen Arbeitsbundes nicht nur ziemlich gleich tüchtig, sondern jedenfalls gleich strebsam, aufopferungsfähig, verträglich sein. Und selbst wenn sie alle diese Tugenden besitzen, wird die Schwierigkeit einer gerechten Vertheilung der Gewinne nach den verschiedenen Leistungen für viele Vereine eine unübersteigliche Klippe sein. Jedenfalls wird das Gebot des Meisters: „Liebet euch unter einander!“ nicht bloß ein Wahlspruch solcher Genossen sein, sondern unter ihnen auch zur That und Wahrheit werden müssen. Ehe wir zu diesem schönen Ziele gelangen können, muß nicht nur die sittliche und religiöse Bildung der Arbeiter weiter vorgeschritten sein, sie müssen vor Allem auch in wirthschaftlicher Hinsicht weit mehr als bisher über jene einfachen und ewigen Naturgesetze aufgeklärt werden, die dem Wirthschaftsleben zu Grunde liegen; sie müssen ihre wahren Interessen und die Mittel, ihr Loos durch Arbeit zu verbessern, besser kennen lernen — und in dieser Erkenntniß und Fortentwickelung weit mehr als bisher von ihren glücklicher gestellten und reichern Mitchristen gefördert werden!

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