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Victor Böhmerts Kritik am traditionellen, restriktiven Zunftwesen (1858)

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um so weiter entfernt er sich von der Armuth und um so glücklicher kann er werden. Jeder Staat, der das Glück seiner Bürger befördern und der Armuth entgenwirken will, sollte es daher als die oberste aller seiner Verpflichtungen anerkennen, jedem Bürger Schutz zu gewähren in dem Recht und der Freiheit, zu arbeiten, sich zu entwickeln, seine Kräfte zu gebrauchen und die Frucht seiner Arbeit zu genießen. Dieses Recht und diese Freiheit ist älter als der Staat, es ist jedem Menschen angeboren, es ist das ursprünglichste und heiligste aller Menschenrechte; denn der Mensch wird mit Bedürfnissen geboren, deren Befriedigung zum Leben unerläßlich ist und mit Organen und Fähigkeiten, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Die Anwendung dieser Fähigkeiten zur Arbeit kann aber dem Menschen offenbar nichts nützen und er kann weder leben noch arbeiten, wenn er nicht gewiß ist, die Frucht seiner Arbeit auch für seine Bedürfnisse zu verwenden. Diese Gewißheit und die Sicherheit der verarbeiteten Güter, des Eigenthums, ist daher auch einer der ersten Zwecke jedes jungen Staates. Sogar unter den Wilden zweifelt Niemand daran, daß demjenigen, welcher sich eine Hütte gebaut und ein Thier erjagt hat, auch der Besitz und das Eigenthum an dieser Hütte oder an diesem Thiere zustehe. Der Staat wird meist deshalb erst gegründet, damit das Eigenthum der Einzelnen durch die Gesammtkraft Vieler vor der Uebermacht der Stärkeren geschützt werde.

Man erkennt aus den vorstehenden Gründen gewöhnlich auch bereitwillig an, daß der Staat durch das Princip des Eigenthums zusammen gehalten werde, daß er dem Eigenthum Achtung verschaffen soll. Was thut nun aber unser heutiger Staat mit seinen Gewerbegesetzen? Er greift dieses Eigenthum, dieses Recht des Menschen, über die Arbeit seiner Hände zu verfügen und die Frucht seiner Arbeit zu genießen, in gefährlicher Weise an; er versucht die Arbeit einzuschränken, umzuformen, zu organisiren. Irgend ein Staatsbeglücker aus früheren Jahrhunderten hat behauptet was andere Leute schon wußten, daß es in der Welt Reiche und Arme und einen Mittelstand giebt; zu gleicher Zeit gab er den Lenkern der Staaten der Rath, sich besonders auf den Mittelstand zu stützen. Das mochte nun in politischer Hinsicht ganz zweckmäßig sein, aber der Staat ging noch weiter und begann auch in wirthschaftlicher Hinsicht auf diesen unbestimmten Begriff „Mittelstand“ die Fülle seines Wohlwollens zu häufen. Es wurde ein förmliches künstliches System geschaffen, in welchem den einzelnen Individuen ihre bestimmte Stelle, ihr Erwerbsgebiet angewiesen und die Zahl der Arbeiter u. A. im Voraus geregelt und eine fortgesetzte Sorgfalt und Ueberwachung dem Gewerbestande gewidmet wurde. Das war um so verkehrter, weil die specielle Sorge für einen Stand, der bereits eine gewisse Wohlhabenheit hatte, nur auf Kosten derer, die nichts hatten, verschwendet wurde. Die Armen, die, als Opfer niederer Verhältnisse, nicht im Stande gewesen waren, ein Gewerbe zunftmäßig zu erlernen, waren durch das Gesetz gewissermaßen verurtheilt, Proletarier zu bleiben. Das Verfahren, welches man noch bis in unsere Tage hinein gegen die sogenannten Bönhasen von Seiten der Meister verfolgte, die Lieblosigkeit, mit welcher man ihre verfertigten Waaren wegnahm und sie oft sammt Weib und Kind zur Stadt hinaustrieb, übersteigt fürwahr die äußerste Grenze dessen, was man in einem christlichen Staate für möglich halten sollte. Und diese Leute hatten weiter nichts verbrochen als — gearbeitet! Der Staat lieh den Meistern bereitwillig seinen Arm, er gab die Armen dem Elend, dem Bettel etc. preis. Weshalb? Um einen Mittelstand zu begünstigen, d. h. eine Classe von Bürgern, die sich doch jedenfalls wohler befand als die unterste Classe. Noch heutzutage erklingt die Parole: Schützt den Mittelstand! Als ob nicht jeder Stand und namentlich auch der Aermste gleichen Rechtsschutz vom Staate und Gleichheit vor dem Gesetz beanspruchen dürfte! Noch heutzutage soll sich nach den Begriffen mancher Leute die ganze Staatsweisheit in der Sorge für diesen Stand erschöpfen.

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