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Jakob Marx über die Ausstellung des heiligen Rockes in Trier (1844)

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Das ist der Vorgang, wie derselbe durch die Aussagen der jungen Gräfin selbst, ihrer Großmutter und der andern Dame und einer Menge Augenzeugen konstatiert ist. Das Ergebnis des Vorganges, ganz kurz und einfach ausgedrückt, war: die Gräfin hatte bei dem h. Rocke ganz plötzlich den Gebrauch ihres kontrakten Beines wieder erhalten, um was sie gebeten hatte, Heilung von ihrer Lahmheit, dem drückensten ihrer Übel. Unbestreitbare Tatsachen waren gewesen, wie daß die Gräfin in dem oben beschriebenen Zustande nach Trier gekommen, ohne möglichen Gebrauch ihres kontrakten Beines, so auch daß sie bei dem h. Rocke plötzlich den Gebrauch dieses Beines erhalten hat. Groß war die Freude über diesen Vorgang bei allen Gläubigen. Aber es gibt Menschen, denen diese Heilung der Gräfin höchst ungelegen kam, Menschen, die, weil sie nicht gern an das Vorhandensein einer für sie unheimlichen Geisterwelt und an das Walten einer höheren Macht denken, auch nicht gern daran glauben wollen, und daher von Wundern nichts hören mögen, und mit einer wahren Scheu vor denselben behaftet sind. Diesen war die Heilung ein Dorn im Auge, um so mehr, je größer die Freude der Gläubigen darüber; und es mußte nun um jeden Preis dagegen angekämpft werden.

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Haben wir in dem Vorstehenden vorzugsweise die Vielheit der hierher zusammengeströmten Pilger in's Auge gefaßt und bewundert, so dürfen wir die wunderbare Einheit derselben nimmer unbeachtet lassen. Vergleichen wir diese Million Pilger untereinander nach ihren gewöhnlichen Lebensverhältnissen, so finden wir allseitige Verschiedenheiten unter denselben, die sie in besondere Klassen scheiden, auseinandergehende Wege und Tendenzen ihnen vorzeichnen. Wir finden dieselben verschieden nach Berufsgeschäften, die jedem seinen besonderen Wirkungskreis anweisen, finden sie verschieden nach Bildungsstufen, verschieden in ihren Ansichten über mancherlei Dinge und Angelegenheiten des menschlichen Lebens, verschieden nach Völkern, nach Sprache und Mundarten, nach Glücksgütern, Sitten und Gebräuchen. Alle diese und ähnliche Unterschiede der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft halten und führen dieselben im Leben, Umgang und Beschäftigung auseinander, ja oft feindlich gegeneinander, und lassen dieselben sich nur in sehr geringem Maße miteinander vereinigen durch die Bande der Familienliebe, der Freundschaft, des Zusammenwohnens in einer Gemeinde, des gemeinsamen zeitlichen Interesses einer besondern Klasse von Menschen oder eines ganzen Volkes. Daher sehen wir denn auch bei den vielfältigen Verschiedenheiten der Menschen in ihren gewöhnlichen Lebensverhältnissen auch nur Einheiten oder Vereinigungen sehr geringen Umfanges unter ihnen zustande kommen, sehen sie höchstens geschart nach Familien, nach Gemeinden, nach Kunst-, Wissenschafts- und Handelsvereinen und Staaten.

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