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Erich Mendelsohn, „Die internationale Übereinstimmung des neuen Baugedankens oder Dynamik und Funktion" (Auszüge, 1923)

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In diesem französischen Plan unterstützen die Leitbahnen der Hauptverkehrsstraße in ihrer horizontalen Lagerung und kubischen Geschlossenheit ausgezeichnet den Schnellverkehr. Er durchschneidet in gerader Linie Vorstädte und City. Aber die Dominante der Innenstadt unterliegt einem eindeutigen Schema, um dem Organismus des ganzen Systems die zwangsläufige Bewegtheit unseres modernen Lebens mitzuteilen. Auch die Hochhäuser stehen unvermittelt auf der Ebene, ohne Zusammenhang mit den übrigen Zellelementen.

Dagegen zeigt diese geringere Aufgabe – es handelt sich hier um die Bebauung eines Geschäftsviertels – den, scheint mir, gelungenen Versuch, einen klaren Ausdruck für unsere kommenden Städte zu schaffen. – Hier sind die Terrassen, Bazare, Blockfronten der Straße, Kino, Hotel und Bürohochhaus, zum Organismus, zusammengefaßt, aus der Funktion ihrer Einzelaufgaben wie in der Dynamik des Ganzen. – Selten, scheint mir, hat sich die Ordnung der Welt so eindeutig offenbart, selten nur der Logos des Seins weiter geöffnet als in dieser Zeit des vermeintlichen Chaos. – Denn wir alle sind aufgerüttelt von elementaren Ereignissen, wir hatten Zeit, Vorurteile und satte Genügsamkeit von uns abzutun. – Wir wissen als Schaffende selbst, wie sehr verschieden die Bewegungskräfte, die Spannungsspiele im einzelnen sich auswirken. – Umso mehr ist es unsere Aufgabe, der Aufgeregtheit die Besinnung entgegenzusetzen, der Übertreibung die Einfachheit, – der Unsicherheit – das klare Gesetz; – aus der Energiezertrümmerung die Energieelemente wiederzufinden, aus den Elementen ein neues Ganzes zu formen. –

Faßt zu, konstruiert, umrechnet die Erde! – Aber formt die Welt, die auf euch wartet. – Formt mit der Dynamik eures Blutes die Funktionen ihrer Wirklichkeit, erhebt ihre Funktionen zu dynamischer Übersinnlichkeit. – Einfach und sicher wie die Maschine, klar und kühn wie die Konstruktion. – Formt aus den realen Voraussetzungen die Kunst, aus Masse und Licht den unfaßbaren Raum. – Aber vergeßt nicht, daß das einzelne Schaffen nur aus der Gesamtheit der Zeiterscheinungen zu begreifen ist. – Es ist an die Relativität ihrer Tatsachen ebenso gebunden, wie Gegenwart und Zukunft an die Relativität der Geschichte.





Quelle: „Die intemationale Übereinstimmung des neuen Baugedankens oder Dynamik und Funktiou“, in Architectura und amicitia, Amsterdam, 1923; abgedruckt in Erich Mendelsohn, Gedankenwelten, Unbekannte Texte zu Architektur, Kulturgeschichte und Politik, hrsg. von Ita Heinze-Greenberg und Regina Stephan. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag, 2000, S. 48-53.

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