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Erich Mendelsohn, „Das neuzeitliche Geschäftshaus" (1929)

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Sehen Sie bitte noch einmal die Entwicklung, die wir alle selbst miterlebten und gegen deren Konsequenz wir uns nicht verschließen können. Die Entwicklung nämlich innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne von der Bedürfnislosigkeit des Dorfbewohners zum Absatzzwang infolge der Überschwemmung mit industriellen Artikeln. [ . . . ] Undenkbar also, daß wir die Zeit zurückdrehen können. Dafür stehen wir in der Wirklichkeit des handgreiflichen Lebens und nicht auf der Scheinwand des Films. Undenkbar, daß wir die Auswirkung der Technik, daß wir ihre täglich sich erweiternden Möglichkeiten unbenutzt lassen. Daß wir in der Maschine den Feind des Menschen ablesen, anstatt sie als unser eigenstes gewaltiges Werkzeug zu meistern. Daß wir Auto, Flugzeug und Radio als Selbstverständlichkeiten hinnehmen, aber unser persönliches Leben auf Urvätertand begründen, anstatt der neuen Zeit den Hausschlüssel anzuvertrauen. Denn diese neue Zeit ist unsere eigene Zeit. Vom Bau gesprochen. Es hängt von dem Verantwortungsgefühl und der Begabung des Architekten ab, wie weit es ihm gelingt über seine eigene Handschrift hinweg den – jeweiligen Typ zu schaffen, es hängt von der Intelligenz des Baugewerbes ab, wie weit sie in Baumaterial und Baumethoden der neuen Erkenntnis folgen will. Es hängt endlich von der Denkkonsequenz des Bauherrn ab, wie weit sie allen denen die Hand reichen will, die im Bau nur die wirtschaftliche Organisation der jeweiligen Bedürfnisse anstreben, die Schaffung eines vollendet funktionierenden Organismus, im architektonischen Ausdruck nur die sachliche Klarheit, anstelle des Scheinlebens einer vergangenen Dekoration. Niemals hat eine starke Generation einer anderen Zeit mehr zugetraut als sich selbst.





Quelle: „Das neuzeitliche Geschäftshaus“, handschriftliches, undatiertes Manuskript eines wohl 1929 gehaltenen Vortrags, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Erich Mendelsohn-Archiv, V 32; abgedruckt in Erich Mendelsohn, Gedankenwelten, unbekannte Texte zu Architektur, Kulturgeschichte und Politik, hrsg. von Ita Heinze-Greenberg und Regina Stephan. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag, 2000, S. 96-103.

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