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Erich Mendelsohn, „Das neuzeitliche Geschäftshaus" (1929)

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Wir Europäer des beginnenden 20. Jahrh. werden umso eindeutiger wirken, je mehr wir uns unseren – bescheideneren – Dimensionen anpassen. Hat unsere organisierte Vernunft das Licht am Zügel, dann bedeuten die Schaufenster die wirkliche Anpreisung der bunten Ware – das Firmenband, die Reihenwirkung der beleuchteten Brüstungen das architektonische Gegenspiel von Dunkel und Helle, von Nichts und lebendigem Leben.

In seiner Art auch phantastisch ist die Silhouette der dünnen Eisensprossen, die Verschärfung der einzelnen Hoftrakte des Stuttgarter Schockenbaus mit den direkt durch die Raumbeleuchtung erhellten Glasflächen.

Im Innern [ . . . ] darf unmöglich modisches Ornament, gleichgültig welcher Richtung, oder eine Unzahl von Beleuchtungsattrappen dem Sinn des Ladens als einer Verkaufsstelle bzw. der Ökonomie des elektrischen Lichts widersprechen. Der Laden kann sein, wie bei diesem Pariser Damenschuster, ein luxuriöser Rahmen, der in seiner ungezwungenen Abwechslung zwischen Samt und Spiegelglas die Besucherinnen nicht unangenehm an ihr eigenes Boudoir erinnert –oder – der Laden zeigt von vorneherein die architektonische Festigkeit seiner Innenräume, zu denen sich Warenschränke, Auslagetische, Oberlichtkranz und indirekte Deckenbeleuchtung in organischer Einheit zusammenschließen.

Seinem räumlichen Eindruck entspricht die Geschlossenheit seines Grundrisses, der in die gegebene uneinheitliche Wirklichkeit eine einheitliche Figur gezirkelt hat, ohne dabei irgend einen Winkel ungenutzt zu lassen.

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Und wo früher ein Schaufenster mit dem abstrakten Panoptikum verwechselt wurde, ein geknöpftes Ensemble nur tote Staffage abgab – steht heute das wirkliche Leben mitten im Raum, zieht allen Glanz des Tageslichtes und der künstlichen Beleuchtung in die Architektonik seines eigenwilligen Daseins.

Der Ruf: Licht an die Front: fand noch bis vor kurzer Zeit uns völlig unvorbereitet. Im Außenbau können wir nie wetteifern mit den Höhenrekorden Amerikas, dessen nächtliche Phantastik wirklich den Himmel erreicht – in unmenschlichem Maßstab über die kleinen Menschenpunkte vor den Schaufensterscheiben, aber – wir versuchen, mit unseren Dimensionen umso eindeutiger zu wirken.

m. H. Ich habe eingangs kurz darauf hingewiesen, wie sehr jede Einzelerscheinung des heutigen Lebens nur aus der Gesamterscheinung der Zeit begriffen werden kann, wie sehr am Schnittpunkt einer zerfallenden alten und einer sich aufbauenden neuen Zeit überall eine grundsätzlich neue Einstellung notwendig wird.

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