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Erich Mendelsohn, „Das neuzeitliche Geschäftshaus" (1929)

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Kein Wunder also, daß bei der Rücksichtslosigkeit der Ware gegenüber im Innern auch das Äußere sich Mühe gibt, sein wahres Wesen zu verbergen, d.h. zu verleugnen, was hinter seiner Fassade vorgeht.

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Das neue Haus im Haag – der Bienenkorb – trägt noch den alten überwundenen Geist in sich. Aber es verdeckt ihn mit neuer Dekoration. Sie wächst nicht aus der Notwendigkeit des Innern, der vielen Stockwerke, in denen Treppen und Verkehrswege noch immer wie vor 30 Jahren die Übersicht nehmen und wo eine wenn auch virtuose Künstlerhand vor lauter Schmuck der Ware ihre eigene Sprache verbietet.

Das Prinzip also ist unverändert, aber die Fassade ist, wie man sagt, modern. Die Ornamente sind neuartig – aber es ist kein neuartiger Organismus. Ebensowenig wie der in der Größe und besonders in der künstlerischen Qualität mit diesem doch virtuosen Haus im Haag nicht zu vergleichende Umbau Leonhard Tietz aus d. Jahr 1927 – 4 Jahre nach der Inflation! Aber dieser Umbau unterscheidet sich vom Original vor 25 Jahren nur insoweit, als die architektonischen Floskeln verschieden sind, nicht aber die Grundeinstellung des Architekten. Das ist Mode – auch wenn sie „vertikal“ ist. Denn vertikale oder horizontale Architektur – das ist kein Kennzeichen einer neuen Zeit. Mode ist stets äußerlich – wechselt deshalb schnell ihr Gesicht, sie hat nichts zu tun mit der von Grund auf veränderten Denkart ganz anders geschichteter Zeitabschnitte. Horizontal oder vertikal – nur wer urteilslos ist, glaubt an solch äußere Zeichen, nur der Mitläufer deckt seinen Mangel an Überzeugung mit dem Rücken anderer.

Aber, werden Sie fragen, wie kommt es dann wirklich, daß die junge Architektengeneration – heute meist Männer zwischen 40 und 60 Jahren – den Horizontalismus bevorzugt, wo sie ihn nötig hat? Das von ganz Berlin bis vor kurzem vielbehinderte neue Herpich. Ich will Sie hinter die Fassade führen. Die Trakttiefe an der Leipzigerstraße ist so groß, daß viel Licht hinein muß um sie zu erhellen. Daher so viel Licht, wie es Traggerüst und Baupolizei erlaubt. Die baupolizeilich notwendige Brüstung zwischen den Geschossen, unabhängig von den aufgehenden Stützen, mit indirekter Beleuchtung für Reklamewirkung oder für zeitige Reklameaufschriften.

Sie werden zugeben: Reklame ist aus dem heutigen Geschäftsleben nicht mehr fortzudenken. Also muß der Architekt sie von vorneherein bedenken, während z.B. bei Wertheim die „weiße Woche“ oder bei Tietz die „Weihnachtsbäume“ sich stärker und breiter erweisen, als die Kathedralpfeiler oder die Tempelsäulen es zulassen.

Also ist, ganz abgesehen von den Imponderabilien des Schnellverkehrs, der Unmöglichkeit nämlich, sich schöne Architekturdetails mit Muße anzusehen – die Horizontale aus Vernunft entstanden, nur Logik, aus Rücksicht auf die Bedürfnisse des Geschäftes.

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