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Franz Hessel, „Ich wähle 'Käse'" (1920er Jahre)

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An den altvertrauten Museen der Prinz-Albrecht-Straße hält unser eiliger Wagen nicht.

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Wir gleiten an der bauchigen Hochrenaissance des Völkerkundemuseums vorbei. Auch dies wird nur beim Namen genannt und nichts gesagt von Turfan und Gandhara, von Inka und Maori. Vielmehr verkündet unser Sprecher schon von weitem: „Vaterland, Café Vaterland, das größte Café der Hauptstadt!“ Die Fremden stieren auf die große Prunkkuppel des Baues, und die, welche bereits abendliche Berliner Erfahrungen haben, raten den andern, dieses Monsteretablissement mit all seinen Abteilungen, dies kulinarische Völkermuseum von Kempinski und seine Panoramen in nächtlicher Bestrahlung zu besichtigen.

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Aber nun kommen wir auf den Potsdamer Platz. Von dem ist vor allem zu sagen, daß er kein Platz ist, sondern das, was man in Paris einen Carrefour nennt, eine Wegkreuzung, ein Straßenkreuz, wir haben kein rechtes Wort dafür. Daß hier einmal ein Stadttor und Berlin zu Ende war und die Landstraßen abzweigten, man müßte schon einen topographisch sehr geschulten Blick haben, um das an der Form des Straßenkreuzes zu erkennen.

Der Verkehr ist hier offiziell so gewaltig auf ziemlich beengtem Raum, daß man sich häufig wundert, wie sanft und bequem es zugeht. Beruhigend wirken auch die vielen bunten Blütenkörbe der Blumenfrauen. Und in der Mitte steht der berühmte Verkehrsturm und wacht über dem Spiel der Straßen wie ein Schiedsrichterstuhl beim Tennis.

Seltsam verschlafen und leer sehn jetzt am hellen Mittag die riesigen Buchstaben und Bilder der Reklamen an Hauswänden und Dächern aus, sie warten auf die Nacht, um zu erwachen. Scharf und glatt, jüngstes Berlin, zieht das umgebaute Haus, das die altberühmte Konditorei Telschow birgt, seine gläsernen Linien. Das Josty-Eck bleibt noch eine Weile alte Zeit. Aber an der andern Seite der Bellevuestraße wächst — einstweilen noch hinter hoher plakatbedeckter Wand — etwas ganz Neues herauf, ein Warenhaus mit einem Pariser Namen. Ob es so schön werden wird wie da drüben hinterm Laub des Leipziger Platzes Messels Meisterwerk, das Haus Wertheim?

Die Bellevuestraße, in die wir schnell einen Blick werfen dürfen, wird immer mehr eine „Rue de la Boëtie“ von Berlin. Kunstladen gesellt sich zu Kunstladen. Und davon werden auch die Schaufenster der Modegeschäfte immer erlesener, immer mehr Stilleben. Und das kommt sogar den großen und kleinen Privatautos zugute, die in der Bucht der Auffahrt vor dem Hotel Esplanade warten. Ihre Karosserien, immer besser werdende Kombinationen von Hülle und Hütte, haben wunderbare Mantelfarben.

Grünes Licht am Verkehrsturm. Wir umkreisen den Potsdamer Platz und fahren an den weißen Säulen der beiden Tortempelchen vorbei den Leipziger Platz entlang.





Quelle: Franz Hessel, „Ich wähle ‚Käse‘“, in Potsdamer Platz, Drehscheibe der Welt, Hg. Günther Bellman. Berlin: Ullstein Buchverlag, 1997, S. 103-10.

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