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Ein konservativer Volkskundler über soziale Klassen und Geschlechterrollen (1852)

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Aehnlich geht es beim handarbeitenden Proletarier. Taglöhner und Taglöhnerinnen üben meist ganz den gleichen Beruf. Bei den Fabrikarbeiten stehen Männer und Frauen, Kinder und Greise oft durchweg in der nämlichen Thätigkeit.

Nur bei Straßenräubern von Fach und gemeinen Dieben hilft auch die Frau mit im Geschäft; bei vornehmen Gaunern übt der Mann in der Regel seinen Beruf ganz allein.

Hier sey nun ferner daran erinnert, daß die Theilung des Berufs nicht bloß nach dem Geschlecht sondern selbst nach den Altersstufen immer verwischter wird, je tiefer wir zu besitz- und bildungslosen Volksschichten hinabsteigen. Bei dem armen Kleinbauern muß schon der Schulbube dem Vater die halbe Berufsarbeit abnehmen. Die Beschäftigung der Frau, der heranwachsenden Kinder und des Hausgesindes fällt in eins zusammen. In den Städten haben die Kinder, bis sie zu Jünglingen und Jungfrauen herangereift sind, ihre eigenthümliche Kindertracht. Auf den Dörfern steckt der fünfjährige Bube schon in den verkleinerten Wasserstiefeln und dem Miniaturrocke des Vaters, und ruft uns in dieser drolligen Zwergenmaske die alte naturgeschichtliche Wahrheit in's Gedächtniß, daß nur die höchsten Formen des organischen Lebens auch die reichsten und bestimmtesten Gliederungen in sich schließen. Der unterschiedlose Beruf der Geschlechter ist ein trauriges Erbtheil armer und verkommener Leute, und das gliederungslose, abstracte Staatsbürgerthum wollen wir den Würmern und Mollusken nicht streitig machen.

Die Absonderung der beiden Geschlechter im geschäftlichen Beruf, wie sie beim entwickelteren Bauernthum bereits begonnen, setzt sich bei den Bürgern stufenweise fort. Dem Schuster, dem Schneider, dem Schenkwirth, überhaupt dem eigentlichen Kleingewerb ist die Frau noch ein ganzer Gesell im Geschäft. Bei den größeren Gewerben aber und vollends bei den geistigen Berufen hört diese weibliche Mitarbeit ganz auf. Des Ministers Frau kann nicht mehr im Kabinet aushelfen, wie des Krämers Frau im Laden. Je höher der Berufskreis: um so gesonderter ist die Thätigkeit von Mann und Frau.


Quelle: Wilhelm Heinrich Riehl, Die Familie. 2 Auflage. Stuttgart und Augsburg: J.G. Cotta, 1852, S. 29-31.

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