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Twen Bummel Berlin (1960)

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Außerdem gibt es eine Unzahl französischer Weine, Cognacs und Apéritifs. Wer bei guter Juke-Box-Music ein paar stille Bierchen vor sich hintrinken will, kann das „Domingo“ in der Uhlandstraße (aber ganz weit rauf) ansteuern. Und wenn Georgia, die farbige Barherrin in Stimmung ist, singt sie sogar dazu. Auf amerikanisch und kaffeebraun liegt der Akzent auch in der Galerie Bremer. Hier steht eine Bar und hängen Bilder mitten im Raum, moderne Bilder, von denen ein Teil auch, ohne dass man mit verführerischen Alkohol-Anfeindungen in Berührung käme, im Vorraum zu besichtigen ist. Ein kleines Schwätzchen mit Rudi, dem farbigen Mixer, ist alleweil informativ. Zumindest kann man erfahren, welche Bühnenkünstler zur Zeit in Berlin gastieren, denn wenn sie da sind, dann sind sie bei Rudi.

Theater wird in Berlin groß geschrieben. Das ist einer der wenigen Bereiche, in denen Berlin wieder nationale Bedeutung zurückgewonnen hat. Berlin bietet die einmalige Möglichkeit, Theater westlichen und östlichen Zuschnitts miteinander vergleichen zu können. Denn in den Ostsektor können Sie ungehindert hinüberfahren – auch mit dem Wagen -, und Theaterkarten sind ziemlich das einzige, was Sie mit im Westen erwechseltem Ostgeld kaufen können, ohne ihren Personalausweis vorzeigen zu müssen oder wegen Währungsschwindel Ärger zu kriegen. Wenn Sie sich sonst im Osten nichts ansehen – das Brecht-Ensemble in Ostberlin ist eine Sektorenüberquerung wert. Selbst wenn es eins der nicht so „brechtischen“, produzierten Stücke ist wie „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, so können Sie hier doch allerlei bemerkenswerte Theatertechniken studieren. Genieren Sie sich nicht, ihr westlich benummernschildertes Auto direkt vor dem Theater zu parken – es kommen noch mehr dazu.

Einen Abend können Sie ja mal früh schlafen gehen, um morgens früh aufzustehen – dann besuchen Sie ein paar Altwarenhändler. Aber Sie müssen wirklich früh sein. Die Berliner Antiqueure unterscheiden sich von ihren Kollegen im übrigen Deutschland dadurch, dass sie nicht darauf warten, bis jemand zu ihnen kommt und ihnen ein paar alte Klamotten anbietet. Sie gehen in Trauerhäuser und kaufen ganze Witwenwohnungen auf. Da gibt es viel herrlich ollen Kleinkram. Aber Sie müssen früh sein – andere sind es auch.

Ja, ich weiß, ich habe eine ganze Menge vergessen. Zum Beispiel, dass man sich im Hilton Hotel ins Foyer setzen und auf große Welt mimen kann. Dass es auch bei Carow am See nett ist und in der Casa Leon, und dass im Riverboat auch guter Jazz gemacht wird. Und von Mode haben wir überhaupt noch nicht gesprochen, wo doch der Oestergaard in Berlin ist, und die Modegeschäfte Horn und Rochlitz auf dem Ku-Damm mit ihren Etiketten einen in der Fremde lebenden Berliner zu Tränen rühren, wenn sie ihn im Nacken kratzen.

Übrigens: wenn sonst nichts Sie nach Berlin reizt, dann vielleicht dieser Tip: In Berlin können Sie Auto fahren wie sonst nirgendwo in Westdeutschland. Weil nämlich die Berliner prozentual weniger Autos haben als die Westdeutschen. Weil nämlich die meisten Berliner gar nicht wissen würden, wohin sie mit ihren Autos fahren sollten. An Parkplätzen ist kein Mangel.



Quelle: Rolf Palm, „Twen Bummel Berlin“, Twen, 25. Juni 1960, S. 64-65.

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