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Twen Bummel Berlin (1960)

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Jetzt müssen Sie überlegen, ob Ihnen nach Krawallmusik, einem Klavierkonzert von Tschaikowskij, einer Vibrationsmassage, oder nach Schuhputzen zumute ist. Wenn Sie sich für eine dieser vier Möglichkeiten entschlossen haben, dann gehen Sie in den „Eden-Saloon“. Da finden Sie das nämlich alles – und nicht nur das. Rolf Eden hat insgesamt neunzehn Automaten in seinem Laden stehen sowie das Prinzip, dass jeder nur dann bedient [wird], wenn er etwas bestellt. Wodurch Sie im Eden auch dann gut bedient sind, wenn Sie nicht bedient werden wollen. Rolf Eden ist einer von den seltenen Gastronomen, die den Eindruck erwecken, als betrachteten Sie ihren Beruf als Hobby, und seien gar nicht so sehr darauf versessen, Geld zu machen. Aber indem er seine Gäste nicht neppt, macht er am meisten Geld. Auf diese Tour hat er es in drei Jahren von einem zerfransten Paar Schuhen zu einem weißen Porsche, Kai Fischer und beachtlichem Lokalruhm gebracht. Die Kai Fischer ist er wieder los, der weiße Porsche stand – als ich Rolf Eden besuchte – wegen Gelbsucht vor dem Krankenhaus. Eine seltene Farbenzusammenstellung fanden seine Freundinnen und erkundigten sich per Telefon stündlich nach der Entwicklung der Nuancen. Das lohnt sich bei Rolf Eden, bei dem passiert jede Stunde was Neues. Das Zeug zum Millionär hat er jedenfalls: Er hat nämlich schon mal als Tellerwäscher gearbeitet. Das war in Paris. Ein amerikanisches Ehepaar engagierte ihn als Reiseführer. In Berlin ließ es ihn sitzen. Zur Klärung der Situation platzierte er sich mit seinem letzten Zehnmarkschein an eine nahegelegene Bar und dachte nach. Er tat es auf französisch und laut. Ein Herr auf dem Barhocker neben ihm hatte ebenfalls Probleme zu bedenken, und so kamen die beiden ins Gespräch. Der Herr nebenan war gerade sein Lokal satt – Rolf suchte eine Chance. Voilà, da saß die Chance neben ihm. Rolf malte den Laden nach Pariser Motiven aus und wartete auf Kundschaft. Heute wartet die Kundschaft auf ihn, und wenn er nicht in seinem Saloon ist, beschleicht dunkle Melancholie die Gemüter, und Mozarts C-Moll-Konzert auf der Musikbox klingt noch moller als sonst.

Zweimal in der Woche gibt es Rock’n Roll-Meisterschaften, zweimal in der Viertelstunde projiziert ein Bildwerfer klassische Werke von Gauguin bis Kai Fischer an die Leinwand. An weiteren Sehenswürdigkeiten sind ein handbetriebener Ventilator aus Napoleons Besitz, eine Kinderbratpfanne der Kannibalen, eine Getränke transportierende Schwebebahn und Bar-Hostesse Evi zu empfehlen. Preise: Bier 70 Pfennig, Weinbrand 80 Pfennig, Whisky zwei Mark. Für zehn Pfennig zieht man sich aus einem diesbezüglichen Automaten heißes Wasser und rasiert sich. Denn jetzt gehen wir in ein feines Etablissement: Die „Badewanne“. Ja, die ist jetzt piekfein geworden. Das einzige, was noch an früher erinnert, ist Johannes Rediske, der hier wie seit dem Tag der Eröffnung Musik macht. Aber auch der hat jetzt feine Maßanzüge an. Alles ist sehr sauber, sehr hell und sehr restaurantisch. Wenn Sie mit einem gestrengen Elternpaar unterwegs sind, werden dieselben hierorts ihre reine Freude an den vielen lieben Kinderchen nicht verhehlen. Die Atmosphäre, die früher in der Badewanne lebte, ist in den Eden-Saloon geflüchtet. Andererseits hat sich viel von der hemdärmeligen Dixieland-Happyness in die „Eierschale“ verpflanzt. Die „Eierschale“ ist zwar etwas weit vom Schuss, in Dahlem, ausgebrütet worden. Aber Berlin ist nicht so eifersüchtig, alle seine Attraktionen gebündelt im Zentrum anzubieten, wie das in kleineren Städten der Fall ist. In der „Eierschale“ ist immer dichtes Gedränge, die Spree-City-Stompers heizen tüchtig auf, und wem davon nicht die Brillengläser beschlagen, der kann die Schilder- und Sprüchekollektion an den Wänden goutieren. Da wir auf der Jazz-Straße sind: das „New Orleans“ ist ziemlich neu, und das dunkelste von allen Berliner Jazz-Lokalen. Das macht aber nichts. Der Cool-Jazz, der hier entgegen dem Etikett fabriziert wird, ist sowieso nur fürs Ohr. Wenn einer ein Ohr dafür hat. Wenn einer keins dafür hat, kann er – während seine Freunde auf cool machen – nebenan im Hippodrom ein paar Runden auf einem Pferderücken drehen. Da traben drei Vierbeiner durch eine Sägemehl-Arena. Der Zeitvertreib scheint indessen nicht hoch geschätzt zu sein. Die Pferde stehen meistens leer. So haben sie Muße genug, die Zweibeiner zu beäugen, die auf dem Weg zu den zum New Orleans gehörenden sanitären Installationen an ihrem Rundlauf vorbei müssen.

Könnte ja sein, dass Sie nun ein Bedürfnis nach Ruhe verspüren. Ruhe ohne Langeweile finden Sie in der „Vollen Pulle“. Das ist ein Etablissement, das vorn wie ein riesengroßes Weinfass aussieht und innen wie das Interieur eines Bienenhauses, so viele Waben hat es. Ich habe vergessen zu fragen, ob die Leute sich mal um ihre Garderobe geprügelt und bedauerlicherweise nicht genug Handschlagwaffen zur Hand hatten. Jetzt wäre jedenfalls über mangelnde Rüstung nicht zu klagen. Statt Garderobenmarken bekommt man einen Kochlöffel.

Wenn Sie die „Paris Bar“ entern, dürfen Sie sich an zwei Dingen nicht stoßen: dass die „Paris Bar“ weder eine Bar ist noch hat, und dass der maître dieses sehr pariserischen Plätzchens Müller heißt. Aufgebaut hat es sein Onkel, und der war ein echter Franzose. Der Stil der „Paris Bar“ ist irgendwo auf dem Pariser Boul‘ Mich‘ oder dem St. Germaine des Près zu lokalisieren. Bis auf das Schild, dass man auf seine Garderobe selbst achten soll, ist die Illusion vollkommen. Die lederbezogenen Sitzbänke an der Wand, die Spiegelwand über der Lehne, der offene Kamin und zu guter Letzt das sehr französische Menü mit Zwiebelsuppe und Rotwein zum Beefsteak – das könnte genau zwischen dem „Deux Magots“ und dem „Café de Flore“ liegen. Übrigens: das Menü kostet runde drei Mark.

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