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Information über die Stimmung der Bevölkerung zur Versorgung in Berlin und im Bezirk Potsdam (19. Mai 1961)

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Im Zusammenhang mit diesen größer gewordenen Versorgungsschwierigkeiten wächst die Unzufriedenheit. In zahlreichen Geschäften kommt es zu offenen, kritischen Diskussionen, die teilweise von feindlich eingestellten Kräften zu provokatorischen Äußerungen ausgenutzt werden. Viele Parteimitglieder sagen, daß sie nicht wissen, wie sie dieser Diskussion Herr werden können. Die Verkaufskräfte werden täglich in solche Diskussionen hineingezogen und äußern sich zu ihrer Situation sehr unzufrieden und mißmutig.

In Lichtenberger Verkaufsstellen des staatlichen und genossenschaftlichen Handels verwiesen die Verkaufskräfte die Kunden auf eine vor kurzem stattgefundene Handelskonferenz, nach deren Feststellung es in den nächsten Wochen noch weniger Fleisch, Brot und Butter geben soll. In Treptow, Greatstraße [sic], wird in dieser Woche nur ½ Stück Butter pro Kopf ausgegeben.

In den großen Industriebetrieben im demokratischen Berlin werden heftige Diskussionen über die Versorgungslage, besonders von Kolleginnen und Kollegen geführt, die in den Randgebieten wohnen. Im VEB Bergmann-Borsig stehen Fragen der Fleisch-, Brot- und Kartoffelversorgung im Vordergrund. Teilweise sagen die Genossen im Betrieb, daß sie für diese Mängel keine ausreichende Argumentation besitzen, um die Kollegen zu beruhigen. Sie meinen, die Regierung müsse doch endlich offiziell zu dieser schwierigen Versorgungslage Stellung nehmen.

Verstärkt treten Auffassungen auf (auch bei Genossen), daß die Umwandlung der Landwirtschaft doch zu früh und zu schnell erfolgte und wir heute dafür die Quittung bekommen.

In der Schaufelfräserei haben 18 Frauen verlangt, sonnabends ab 9.00 Uhr vormittags frei zu bekommen für den Einkauf, da sie nachmittags doch nichts mehr bekommen würden in den Randgebieten.

In diesem Zusammenhang waren eine Anzahl junger Arbeiter der Meinung, daß „wir“ mit solchen Schwierigkeiten nicht die Westberlinfragen lösen könnten, zumal der RIAS gesagt hätte: “Der Westen bleibt hart. Was wird nun?”

In Köpenick erklärten Hausfrauen beim Einkaufen, daß sie natürlich für einen Friedensvertrag seien und keinen Krieg wollen. Es sei aber doch offensichtlich, daß wir nicht in der Lage seien, die Menschen mit allem Notwendigen für den Lebensunterhalt zu versorgen.

Im zunehmenden Maße erklären Menschen in den Geschäften, daß sie bisher sich dagegen gesträubt hätten, in Westberlin einzukaufen. Jetzt seien sie aber aufgrund der zunehmenden Mängel in der Versorgung teilweise dazu gezwungen.

Allgemein verbreitet sich in diesen Gesprächen folgende Stimmung:

Im Gegensatz zu den Erklärungen der Presse geht es nicht vorwärts. Gegenwärtig treten Mängel auf, die 16 Jahre nach Kriegsende nicht sein dürften.

Dabei kommt es gegenüber Parteimitgliedern zu folgenden Äußerungen: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“- „Es geht nicht nur nicht vorwärts, sondern ständig rückwärts“ - „Es wird Zeit, daß Lebensmittelkarten eingeführt werden - Zustände wie 1945“ - „Im Krieg bei Hitler gab es wenigstens regelmäßig Fleisch und Brot“.

„Wenn das mit Westberlin nicht bald geändert wird, machen wir alle pleite“ - „Wie lange wird noch über Westberlin gesprochen, ohne zu handeln“ - „Im vorigen Jahr wurde erklärt: Wenn der Flieder wieder blüht ...“ „Sagen Sie mal Herrn Ulbricht, er soll die Grenzen endlich dicht machen“ - „Wieso gibt es im Wendenschloß für die Funktionäre alles. Dort werden Gemüse, Spargel, Erdbeeren und andere Mangelwaren in Hülle und Fülle angeboten.“

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